Wien - "Wenn die Palästinenser diese Chance verspielen, werden sie lange warten müssen." Nach den Worten des israelischen Botschafters in Österreich, Dan Ashbel, verfolgt die Regierung Sharon mit dem "Abkoppelungsplan", dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen, "die Absicht, dem Nahost-Friedensplan eine weitere Chance zu geben, zum Wohle beider Völker". Mit der einseitigen Abzugs-Entscheidung Israels verbinde sich "die Hoffnung, dass die Palästinenser diese Chance ergreifen werden". Der Diplomat brachte in einem Gespräch mit Journalisten am Mittwoch zugleich die Hoffnung zum Ausdruck, dass es beim Abzugsprozess auf Seiten der jüdischen Siedler "keinen bewaffneten Widerstand" geben werde.

Der Gaza-Rückzug entspreche den Sicherheitsbedürfnissen Israels und solle den Nahen Osten "einen Schritt voran bringen". Ministerpräsident Ariel Sharon habe die Entscheidung getroffen und sei auch der einzige, der den Abzug durchsetzen könne. Die Sicherheitsbedürfnisse der israelischen Bevölkerung müssten gewahrt werden. Umfragen besagten, dass die Mehrheit für einen Gaza-Abzug, zugleich aber in großer Sorge sei. Den Begriff "Abkoppelung" versteht der Diplomat aus dem Hebräischen im Sinne von "disengagement" (Entflechtung).

Nach Einschätzung des Botschafters wollen die protestierenden Siedler bis zuletzt - ab dem kommenden Sonntag um Mitternacht ist Israelis der Aufenthalt im Gaza-Streifen verboten - ihren Widerstand demonstrieren. Sollte es dennoch mehr als passiven Widerstand geben und auf Siedler-Seite zu Schwierigkeiten kommen, würde "wahrscheinlich die israelische Armee einschreiten, um ihre Bürger zu schützen".

"Ermutigende Erklärungen des palästinensischen Präsidenten"

Auf der anderen Seite sei zu hoffen, "dass die Palästinenser erkennen, dass Gewalt sie nicht weiterführen kann". Einerseits gebe es jüngste "ermutigende Erklärungen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas in Richtung "ein Gesetz, eine Autorität", andererseits habe etwa Fatah-Vorsitzender Faruk Kaddoumi (der den Friedensprozess ablehnt), für sich ein eigenes Sicherheitsbüro reklamiert.

Auf die Frage nach der Realisierung eines palästinensischen Staates sagte der Botschafter, dieser sei in Phase 3 des Nahost-Friedensplans "Roadmap" enthalten. Zunächst werde man im Gaza-Streifen sehen, "wie weit die Palästinenser fähig sind, eine Region selbst zu regieren". Es stelle sich die Frage: "Wie weit wird die gewählte Verwaltung in der Lage sein, ein normales Leben neben Israel zu führen". Die palästinensische Gesellschaft habe jetzt "die Chance, eine andere zu sein als das, was wir in der arabischen Welt kennen". Ashbel: "Die Kräfte, die auf ein demokratisches System drängen, sind (bei den Palästinensern) stärker als in anderen arabischen Ländern."

"Der Zaun hat seine Hauptaufgabe erfüllt"

Zum Ausbau des Sperrwalls gegenüber dem palästinensischen Westjordanland - nach israelischer Diktion "Zaun" - meinte der Botschafter: "Der Zaun hat seine Hauptaufgabe erfüllt, es gibt weniger Anschläge." Zur Kritik am umstrittenen Verlauf der Absperrung, die streckenweise in Palästinenser-Gebiet reicht, erklärte Ashbel, der Verlauf ergebe sich "aus militärisch-strategischen Gründen" und "nicht" aus einer "politischen Zielsetzung". Ashbel fügte hinzu: "Dieses Mittel tötet nicht."

Sorge bereiten den Israelis die radikale islamische Hamas und die libanesische Hisbollah, so der Botschafter. Es habe Drohungen der Hisbollah gegeben, und während des Armee-Abzugs aus dem Gaza-Streifen könnte es zu Schwierigkeiten an der israelischen Nordgrenze kommen. Überdies sitze die "schwer bewaffnete Hisbollah" in der neuen libanesischen Regierung. Die Hamas wiederum sei "keine Opposition". "Sie sucht keine Zusammenarbeit mit der Palästinenser-Verwaltung, sondern will einen moslemischen Staat." In Israel herrschten auch "Befürchtungen, dass Gaza (nach dem israelischen Abzug, Anm.) ein Hamas-Land wird, dass Waffen dann legal dorthin gebracht werden".

Schließlich verwies der Botschafter auf die Gesamtsituation in der Region; die Entwicklungen in den Palästinenser-Gebieten könne man "nicht isoliert sehen". Ashbel erinnerte an die Zusammentreffen zwischen den Präsidenten Syriens, Bashar al-Assad, und des Iran, Mahmoud Ahmadinejad, und daran, dass "die Zusammenarbeit zwischen Syrien, dem Iran und der Hisbollah weitergeht". Auch in den Beziehungen zwischen Syrien und dem Libanon habe sich eine neue Situation ergeben. Und ein Iran als Atommacht "ist für Israel und die ganze Welt gefährlich". (APA)