Und unzählige KunstliebhaberInnen und KennerInnen hingen gebannt an deren Pinselschwüngen. Und wie immer, wenn das Interesse an den anderen sich zugleich förderlich auf Bildung wie Gemächt schlägt, wurden diese Bilder prägend. Kraft ihrer Einbildung entwickelten FranzösInnen, EngländerInnen, ItalienerInnen und ÖsterreicherInnen ein über weite Strecken bis heute akzeptiertes Bild vom Orient.
Lebensbeichten echter Haremsdamen
Meist ungehindert durch womöglich nervenaufreibende Erfahrungen vor Ort, gestützt auf feuchtmündliche Überlieferungen bekannt objektiver Militärs, die Mitbringsel und Anekdoten verwegener Handlungs- wie Forschungsreisender und die schwer zu beschaffenden Lebensbeichten echter Haremsdamen, wurden vor einem dankbaren Publikum die Geheimnisse des Orients enthüllt. Schockierend sind diese Geheimnisse schon, aber nicht zu sehr: Obzwar sich dort an allen Ecken und Enden wie von Zauberhand bewegt die Schleier lüften, während sich am Horizont die Karawanen vor den höchst umtriebigen, immer zu vierzigst überraschend aus der Palmwedeldeckung quellenden Mädchenräubern stauen und lässliche Sünden gleich einmal den Kopf kosten, ist es doch paradiesisch dort.
Keine Konkurrenten
Die ungemein reinlichen Frauen sind so hingebungsvoll, dass sie fast ausschließlich hingestreckt auf prachtvollen Teppichen vorkommen, und die Männer sind entweder Weise, die sich beim Hahnenkampf vom vielen Denken erholen, oder gehören zum diskreten Personal im Bildhintergrund.
Oder sie sind gar keine Konkurrenten mehr. Das erkennt man selbst im angezogenen Zustand am schwer melancholischen Blick oder ihrer oft überbordenden Leibesfülle.
An SklavInnen herrscht auch kein Mangel. Und - das ist jetzt ganz wichtig - die Frauen, seit Ingres treten sie meist als Odalisken auf, geben sich zwar bisweilen recht distanziert, aber so aufführen wie eine Salome, Medusa oder Lulu würden die sich nie, die sind schon da, wenn man sie braucht, und ganz natürlich bereit zu Taten, die zu Haus als Schande gelten.
Nackte Wahrheiten
Zu den schockierenderen Geheimnissen des Orients gehört sicher, dass Frauen gerne geraubt und hernach, nackt, wie sie nun einmal sind, verkaufsgerecht verschnürt werden, und dass kleine Fehltritte im Harem gerne mit dem Krummsäbel geahndet werden. Aber so etwas muss ein objektiver Berichterstatter eben auch malen, da darf nicht darüber hinweggesehen werden, das ist den AbendländerInnen durchaus zuzumuten.
Der hat sich ja auch noch nie darüber beschwert, dass sich in den Bildern Windhunde, Riesenschlagen und Panter tummeln, wie sie ein echter Kalif nie gesehen hat, dass den Chronisten aus Wien, Paris oder Budapest bei Ornamenten und Schriften die Fantasie oft arg durchgeht, oder darüber, dass Johann Peter Kraft den Orient als Höhepunkt des Wiener Biedermeier deutet.
Und wahrscheinlich würde es dem aufgeschlossenen Abendländer auch recht fällend in den Schritt fahren, hätten die Chronisten bildbestimmend festgehalten, dass die Oberaufsicht und die Zurichtung der Damen im Harem stets der Mutter des Kalifen übertragen wurde.
Virus im Kopf
Das Ärgste jedoch bildet den Abschluss der Schau in Krems: Fotos aus dem wahren Leben im Allerheiligsten, Fotos, die sich wie Viren in die abendländischen Masturbationsprogramme einnisten, Fotos von echt haarigen Frauen in Tennissocken, die herrumlungern wie die Maurer, ganz so, als wären sie unzufrieden.
Egal. Es bleibt immer noch das ästhetische Vergnügen, das Ergötzen an der Machart der oft monumentalen Gemälde. "Harem - Geheimnis des Orients" versammelt zum Teil kaum bekannte Beispiele von Salonmalerei auf technisch wie kompositorisch höchstem Niveau. Etwa Jules Jean Antoine Lecomte du Noüys "Pforte des Serails - Erinnerungen an Kairo" (1876) aus der Sammlung Yves Saint Laurent oder Giulio Rosatis undatierte Leinwand "Ein Kauf für den Harem" - ebenso eine gelungene Anregung zum Weiterdenken wie Fernand Cormons "Eifersucht im Serail" aus 1874.