Diskurs
Weiß-blaue Schauergeschichten
Edmund Stoiber stört den Wahlkampf von Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel - Von Birgit Baumann
Edmund Stoiber hat im Wahlkampf in der bayerischen Heimat wieder einmal Deftiges serviert. Man dürfe nicht zulassen, dass die "Frustrierten" aus dem Osten die Wahl entscheiden, sagte der Ministerpräsident. Erwartungsgemäß ist die Aufregung in den neuen Bundesländern groß - während sie sich an den Stammtischen im Süden der Republik vor Begeisterung auf die Schenkel klopfen dürften: weil es "der Edi" den Ossis mal so richtig reingesagt hat, dass sie - im Gegensatz zu den klugen Bayern - eigentlich Deppen sind.
Angenehm ist das für die Ostdeutschen nicht. Knapp 15 Jahre nach der Wiedervereinigung wird immer noch auf ihre Kosten Stimmung gemacht. Vergangene Woche war es der im Westen aufgewachsene brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der erklärte, Verbrechen wie neunfache Säuglingstötungen seien auf die "Proletarisierung" in der DDR zurückzuführen. Man kann davon ausgehen, dass sowohl Schönbohm als auch Stoiber sich nicht einfach verplappert haben. Sie wissen genau: Ossi- Bashing kommt in weiten Teilen Deutschlands gut an.
Nach wie vor halten viele Westdeutsche das Volk im Osten für ewig unzufriedene Stiefbrüder und -schwestern, die dauernd noch mehr Förderungen haben wollen, aber wirtschaftlich wenig schaffen und somit das ganze Land hinunterziehen. Wie die CDU angesichts solcher Bemerkungen bei der Bundestagswahl im September stärkste Kraft werden will, bleibt ein Rätsel. Wer Millionen von Menschen verächtlich macht, darf sich nicht wundern, wenn sich diese dann der PDS oder anderen vermeintlichen Heilsbringern zuwenden.
Stoiber hat mit seiner Bemerkung auch Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel ein Ei gelegt. Auch sie stammt aus dem Osten - und wird in den nächsten Wochen bei jedem Wahlkampfauftritt in der ehemaligen "Zone" erhöhten Erklärungsbedarf haben.
Überhaupt benimmt sich Stoiber in jüngster Zeit, als befände sich sein Name auf der Gehaltsliste der SPD. "Ich werde immer an Ihrer Seite sein", hat er bei ihrer Kür zur Kanzlerkandidatin versprochen. Wer dies als versteckte Drohung interpretierte, lag nicht ganz falsch. Stoiber hat immer noch nicht ganz verwunden, dass er 2002 als Kanzlerkandidat Gerhard Schröder nur 8864 Stimmen unterlag und nun Merkel den Vortritt lassen muss.
Anfangs, als die Union auf einer riesigen Welle von Angie-Sympathie Richtung Kanzleramt schwamm, hielt sich Stoiber noch zurück. Doch nun, wo Merkel schwächelt und die Umfragewerte nicht mehr so strahlend sind wie der weiß-blaue Himmel in der bayerischen Werbebroschüre, zeigt der CSU-Chef wenig Beißhemmung.
Er hat Merkel bereits in gewaltige personelle Verlegenheit gebracht. Immer noch hat er nicht entschieden, ob er als Minister in ihrem Kabinett zur Verfügung steht. Stoiber wartet erst einmal die Wahl ab und überlegt, wo er sich am besten gegen Merkel positionieren kann: als "Superminister" in Berlin, wo es doch gilt, eine gewisse Kabinettsdisziplin einzuhalten, oder als unumstrittener "König Edmund" in Bayern, von wo aus man Ratschläge erteilen kann.
Merkel kann so schlecht disponieren. Wenn sie nächste Woche ihr Kompetenzteam präsentiert, darf man gespannt sein, wen sie als Experten für Wirtschafts- und Finanzpolitik aus dem Hut zaubert. Sie muss dieses Feld prominent besetzen, da sie hier Schröder besonders angreifen will. Stoiber hätte die fachlichen Qualitäten, aber er ziert sich.
Konkrete Vorstellungen hat er in einem anderen Punkt. 42 bis 45 Prozent müsse die Union bei der Wahl schon holen, erklärt er und meint: Wenn Merkel nicht über diese Messlatte kommt, hat sie versagt. Originellerweise hat Stoiber vor drei Jahren nur 38,5 Prozent geschafft. Merkel hat diese 45 Prozent nun während des ganzen Wahlkampfes wie einen Mühlstein am Hals. Jede Umfrage wird nur noch in Relation zu dieser Zahl interpretiert werden. Macht Stoiber so weiter, ist Merkel schon vor der Wahl kaputt. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.08.2005)