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Foto: REUTERS/Goran Tomasevic

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Zwei Welten: Ein junger Israeli blockiert den Eingang zur Siedlung Neve Dekalim. Ein palästinensisches Mädchen im Norden von Gaza-Stadt macht das Siegeszeichen.

Foto: APA/EPA/Ali Ali

Neve Dekalim – Am zweiten Tag des israelischen Abzugs aus dem palästinensischen Gaza-Streifens ist es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Gegnern der Räumung gekommen. Wenige Stunden vor Ablauf der Frist zum freiwilligen Wegzug wiesen Polizisten am Dienstag zudem erstmals Unterstützer der Siedler nach Israel aus.

In der größten Siedlung des Gaza-Streifens, Neve Dekalim, wehrten sich Demonstranten mit Händen und Füßen gegen Soldaten, die das Eingangstor mit Gewalt öffneten und die Zufahrtstraße unter großem Personeneinsatz für Umzugslaster freihielten. In anderen Siedlungen folgten jedoch mehr und mehr Familien der ultimativen Aufforderung der Regierung und verließen ihre Häuser – oftmals unter Tränen und unter militärischem Begleitschutz.

In Neve Dekalim rückten die Soldaten mit Elektrosägen und Planierraupen an, um die Barrikaden der Demonstranten zu beseitigen. Daraufhin entzündeten die Abzugsgegner auf der Hauptstraße der Anlage Berge aus Müll und bewarfen die Truppen mit Eiern, Steinen und Farbbeuteln. Die gesamte Szene war in stinkenden Qualm gehüllt. Eine Frau warf sich weinend vor einer Planierraupe auf die Straße. "Wo bleibt das jüdische Herz", schrie ein junger Mann, als ihn vier Soldaten an Armen und Beinen davonschleppten.

Seit Montag läuft die letzte 48-stündige Frist für einen freiwillig Abzug an. Von Dienstag-Mitternacht an wollte die Armee alle 21 Siedlungen in dem Palästinenser-Gebiet zwangsweise räumen. Auch im Westjordanland sollen vier von 120 Siedlungen aufgegeben werden.

Armee setzt erstmals Ausweisungen durch

Von den Demonstranten in Newe Dekalim schaffte die Polizei rund 50 Menschen nach Israel und setzte damit erstmals im Rahmen des Abzugs Ausweisungen von Juden aus dem Gaza-Streifen durch. In Israel sei den Festgenommenen eine Freilassung unter der Bedingung angeboten worden, nicht in das Palästinenser-Gebiet zurückzukehren, sagte eine Polizeisprecherin. Lediglich vier hätten diese Zusage verweigert und seien in Haft behalten worden. Bei den meist jungen Männern und Frauen habe es sich nicht um Siedler gehandelt.

Die Armee hatte am Morgen angekündigt, anders als am Vortag keine Aktionen mehr zu dulden, die den Lastentransport stoppten oder Menschen daran hinderten, freiwillig zu gehen. "Wir werden kein Auge zudrücken", sagte Brigadegeneralin Miri Regew angesichts des Widerstands. "Wenn wir keine Wahl haben, wird die Polizei alle Gesetzesbrecher festnehmen." Am Vortag hatte die Armee darauf verzichtet, Widerstand in den Siedlungen zu brechen.

Die Armee befürchtet, dass ein harter Kern von Ultranationalisten auch zu Gewalt bereit ist, um ihre Räumung zu verhindern. Offiziellen Angaben zufolge haben 66 Prozent der zuletzt rund 8500 Siedler im Gaza-Streifen das Entschädigungsangebot der Regierung angekommen. Mehrere tausend Abzugsgegner sollen sich in das Gebiet eingeschlichen haben, um den dortigen Widerstand zu stärken.

"Der einzige Weg führt nach draußen"

"Der einzige Weg führt nach draußen", erklärte Eiwal Giladi, der strategische Koordinator des Abzugs im Büro von Ministerpräsident Ariel Scharon. Dieser hatte das Ende der fast 40-jährigen Besatzung am Vorabend in einer Fernsehansprache noch einmal leidenschaftlich verteidigt. An den Rückzug knüpft sich die Hoffnung auf eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses. Die Palästinenser erhalten mit dem Gaza-Streifen erstmals Land zurück, das sie für einen eigenen Staat beanspruchen.

In der Siedlung Morag entschlossen sich dagegen zehn von 40 Familien doch noch, bis zur Frist um Mitternacht freiwillig zu gehen. "Wir wollen nicht gegen unsere eigene Armee kämpfen", sagte Nahschon Halili. "Wir wollen mit guten Erinnerungen gehen." Ganz zum Schluss entfernte er an seinem leeren Haus das Holzschild mit dem Familiennahmen, küsste die Soldaten, die ihm beim Aufladen seiner Habe geholfen hatten, und fuhr mit Frau und Kindern davon. Zwei Militärfahrzeuge begleiteten die Familie, bis sie den Siedlungsblock Gusch Katif hinter sich gelassen hatten. Der Block besteht aus 17, mehrheitlich von religiösen Juden bewohnten Siedlungen im Süden des Gaza-Streifens, unter denen Newe Dekalim die größte ist. "Ganz Gusch Katif trauert", sagte Gilad Meimon, der gleichfalls in seinem voll gepackten Fahrzeug darauf wartete, die Region für immer zu verlassen.

Als erste vollständig geräumte Siedlung im Gaza-Streifen gilt die Siedlung Dugit im Norden des Gebiets. Alle 79 Bewohner der Siedlung hätten die Anlage bereits freiwillig verlassen, bestätigte die Armee am Dienstag.

Hamas-Anhänger feiern

Zur Feier des israelischen Abzugs haben sich am Dienstag Tausende von Anhängern der radikalislamischen Terrororganisation Hamas im Süden des Gaza-Streifens eingefunden. Sie kamen zwischen dem Flüchtlingslager Khan Younis und dem jüdischen Siedlungsblock Gush Katif zusammen. Palästinensische Polizisten hinderten sie daran, in Richtung Gush Katif vorzudringen. Nach Polizeiangaben wurden in der Nacht von der israelischen Armee etwa 500 Menschen festgenommen, die von Israel aus nach Gush Katif gelangen wollten.

Der Leiter des Politischen Büros der Hamas, Khaled Mechaal (Mashaal), hält den israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen für den Anfang vom Ende des Staates Israel. Der arabischen Zeitung "Al-Hayat" sagte er: "Dies ist der Anfang vom Ende des zionistischen Projekts in der Region". Für den israelischen Regierungschef Ariel Sharon sei dieser Abzug gleichzeitig der erste und der letzte Schritt. Für Hamas sei er dagegen der erste Schritt hin zur Befreiung von ganz Palästina.

Palästinenser starten "Sauberkeits-Kampagne" in Gaza

Mit einer symbolischen "Sauberkeits-Kampagne" will die palästinensische Autonomiebehörde den Gazastreifen von den Spuren der 38-jährigen Besatzung durch Israel befreien. Ministerpräsident Ahmed Korei (Abu Ala) gab am Dienstag den Startschuss zu der Aktion, mit der vor allem politische Banner und Slogans im Zusammenhang mit der Besatzung aus dem Palästinensergebiet entfernt werden sollen.

Gekleidet in ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "Gaza sauber und frei" übermalte Korei ein Graffiti auf einer Mauer in Gaza mit weißer Farbe. "Wir fangen mit den Slogans der palästinensischen Autonomiebehörde an, um zu zeigen, dass es keine Ausnahmen gibt", sagte Korei. "Heute wischen wir die Besatzung fort und vernichten alle Spuren."

Freiwillige in Gaza übermalten weitere Slogans an Hauswänden, fegten die Straßen und rissen Plakate der verschiedenen Palästinenserorganisationen wie Koreis Fatah, der radikalislamischen Hamas und des Islamischen Jihad von den Wänden. Korei äußerte die Hoffnung, dass nach dem israelischen Abzug aus dem Gazastreifen eine Räumung des Westjordanlands und Jerusalems folgen werde. (APA/Reuters/dpa/AP/red)