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Sucht man nach markanten Bildern dieses Festspielsommers, kommt man an Verdis medial grell ausgeleuchteter Todeszone der Koloraturen nicht vorbei. Wie Anna Netrebko nach der Probe auf dem Weg zur Garderobe die Hände vor dem Gesicht zusammenschlägt, um sich dem ORF-Blick zu entziehen, mag gleichnishaft dafür stehen, welche Ausmaße der Rummel um die Traviata angenommen hatte.

Nun dauern die Festspiele angeblich etwas länger als eine ORF-Liveübertragung, und so ist es auf der Suche nach markanten Bildern durchaus möglich, auch das Gegenteil von Rummelübertreibung zu finden. Da kredenzt Geigerin Midori im Mozarteum einen bis zur Unscheinbarkeit zierlichen Mozart, und unter den Hörern ist auch Kanzler Schüssel, direkt aus Wien von der Sondersitzung zur schlechten Lage am Arbeitsmarkt kommend.

Für Salzburg sind beide Bilder von Belang. Es muss möglich bleiben, sich ungestört einer Qualität zu widmen, die ihre Daseinsberechtigung nicht durch Quote belegen muss. Andererseits kann es Salzburg nicht schaden, im internationalen Festivalwettbewerb auch mit einer Mischung aus Spektakel und Substanz Punkte zu sammeln. Was mit der Traviata gut gelang, da die Protagonisten keine reinen Medienphänomene sind und beim Eintritt in die Bühnenatmosphäre alles andere als verglühten. Nicht nur; weil es Intendant Peter Ruzicka gelang, Quote und Qualität unter einen Festivalhut zu bringen, ist das heuer ein guter Jahrgang. Hatte er in den vergangenen Jahren vor allem mit Mozart und jeweils nur einer Produktion pro Sommer Glück, so brachte ihm heuer Amadeus in Form der Zauberflöte zwar Pech.

Um die Traviata herum bleibt allerdings der Abschluss des Exilkomponisten- Zyklus' (Die Gezeichneten) in guter Erinnerung. Und wenn nicht alles schief geht, müsste auch die Wiederaufnahme der tadellosen Cos`i-fan-tutte-Inszenierung das positive Sommerbild abrunden. Mehr Premieren wären zwar schön gewesen, aber Ruzicka hat nicht mehr jenes finanzielle Fundament wie Vorgänger Gerard Mortier. Außerdem absorbiert 2. Spalte wohl das kommende Mozart- Jahr auch Kräfte. Immerhin: Aus dem wie bisher etwas konturenlosen Allerlei im Konzertbereich, dem man den Zwang zu hohen Einnahmen ansieht, ragt der nun nahende Modernezyklus hervor. Unter dem Begriff Salzburger Passagen wird er das Festivalfinale hoffentlich unaufgeregt mit Substanz ausstatten.

Dann wird man sich an ein Jahr erinnern, in dem immerhin kurz ein künstlerischer Ausnahmezustand herrschte, mit dem ein Festival automatisch Eigenprofil erlangt. An ein Jahr, da man gefiel, ohne gefällig zu sein und auch sonst zwischendurch hohes Niveau bot und vom üblichen kunstfernen Lärm verschont blieb.

Überlagerte im Vorjahr die hektische Suche nach einem Ruzicka-Nachfolger die Kunstdinge, so blieb es auf diesem Feld logischerweise ruhig. Markus Hinterhäuser und Jürgen Flimm, die neuen Leiter ab 2007, schlendern grübelnd durch die Stadt. Keine Ratschläge und Kassandra- Rufe aus der Ferne von Gerard Mortier. Und Peter Ruzicka, zwar keine "lahme Ente", hat sich mit seinem Entschluss, nach dem Mozartjahr in Salzburg aufzuhören, aus dem Schussfeld genommen.

Keine Diskussion um seine Nebenjobs als Dirigent und Chef der Münchner Biennale. Ruhe in Salzburg – kurz gestört bloß durch die Publikumsschelte von Ioan Holender nach der Klatschorgie bei Traviata und den im Vergleich nützlicheren Versuch, die Festspiele von außen durch "Gegenredner" Robert Menasse zu reflektieren. Letzteres ist durch die Absage der Eröffnungsrede zweifellos selbst verschuldet. Denn so hinterfragenswert das bisweilen lähmende Eröffnungsritual der Festspiele auch sein mag, so unverzichtbar ist es für die Festspiele, eine Form zu finden, über die eigene Rolle zu reflektieren und reflektieren zu lassen.

Der Ruzicka-Nachfolger kann sich freuen. Für ihn bleibt ausreichend Gelegenheiten zur Innovation, zur Neudefinition dessen, was ein Festival zu sein hat. Eine Fusion zwischen der Karajan- und Mortier-Ära, wie sie heuer erfolgreich betrieben wurde, oder auch etwas anderes. Was, ist schwer zu sagen. Aber damit er eine Antwort gibt, dafür engagiert man schließlich einen Intendanten. (DER STANDARD, Printausgabe vom 13./14./15.8.2005)