Christoph Zielinski: Krebstherapie vor Finanzkollaps.

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Krebswachstum in vier Stufen, beginnend links oben: Tumorzellen, ein Blutgefäß. Zellen beginnen zu wachsen. Zelle nähert sich dem Gefäß. Zelle bildet Gefäße aus, dockt an Blutversorgung an. Neue Arzneien zur Hemmung dieser Entwicklung sind kaum noch finanzierbar.

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Aktuelle Studienergebnisse bescheinigen neuen Krebsmedikamenten noch nie da gewesene Effizienz: viel weniger Rückfälle und Todesfälle. Die Behandlungskosten sprengen jedoch Österreichs Budgetrahmen. Experten warnen vor Finanzkollaps und Therapierückschritt.

Wien - "Ich habe so gute Studienergebnisse noch nie gesehen", freut sich Christoph Zielinski nach seiner Rückkehr vom weltweit wichtigsten Krebskongress der Welt, der Jahrestagung der US-amerikanischen onkologischen Gesellschaft (ASCO). Die dort präsentierten Daten über das Brustkrebsmedikament Herceptin bescheinigen der Arznei eine Effizienz, die noch keine andere zuvor erreicht hat: Verringerung der Rückfälle um 52, Reduktion der Todesfälle um 33 Prozent im Vergleich zu bisherigen Standardbehandlungen. Der untersuchte Zeitraum: fünf Jahre.

Herceptin ist ein Antikörper, der an spezifische Bindungsstellen von Krebszellen (Her-2-Rezeptoren) andockt. Werden diese Bindungsstellen von körpereigenen Wachstumsfaktoren angepeilt, führt dies zu einer dramatischen Beschleunigung des Tumorwachstums. Kann jedoch Herceptin andocken, so wird der Rezeptor blockiert und der wachstumsfördernde Effekt bleibt aus. Maximal 25 Prozent aller Brustkrebspatientinnen haben einen Her-2-Rezeptor an der Oberfläche ihrer Tumorzellen - nur bei ihnen wirkt die Arznei. Von jährlich etwa 4500 neu diagnostizierten Mammakarzinomen in Österreich sind das gut 1100.

Die Freude des renommierten Vorstands der Wiener Uniklinik für Innere Medizin und Leiters der Klinischen Abteilung für Onkologie am AKH wird jedoch von der Ökonomie der Onkologie getrübt: Herceptin ist sündteuer, kostet pro Frau und Behandlungsjahr im Schnitt 36.400 Euro. Zielinskis bewilligtes Gesamtbudget für sämtliche medikamentöse Krebstherapien an seiner Abteilung beträgt lediglich sieben Millionen Euro im Jahr. Der Einsatz von Herceptin koste jedoch zusätzlich wenigstens 3,5 Millionen Euro.

"Für die optimale Versorgung unserer Brustkrebspatientinnen überziehen wir den genehmigten Rahmen um mindestens 50 Prozent", erklärt Zielinski dem STANDARD, "dabei ist das Wiener AKH noch in einer privilegierten Stellung". Es gebe mit Direktor Reinhard Krepler die Vereinbarung, dass alle neuen notwendigen Therapien, die an vergleichbaren Spitzenkliniken angewendet werden, auch am AKH eingesetzt werden dürfen. Dies sei nicht an allen heimischen Spitälern so. Für die österreichweite Behandlung aller infrage kommender Brustkrebspatientinnen mit Herceptin seien jährlich rund 40 Millionen Euro notwendig.

Biete die Gesundheitspolitik nicht bald eine Lösung der Kostenfrage an, drohe der Krebsbehandlung in Österreich laut Zielinski der Finanzkollaps: eine "unzureichende Versorgung der Betroffenen" und/oder "Spitäler werden nicht mehr zahlungsfähig sein". Es könne auch dazu kommen, dass in absehbarer Zukunft die effizientesten Therapien nur noch privat zahlenden Begüterten zur Verfügung stünden. Das treffe aber nicht nur auf Herceptin zu.

Ähnlich sensationelle Ergebnisse lägen nun auch für Avastin vor, berichtet Zielinski: Die vorerst nur gegen fortgeschrittenen Dickdarmkrebs zugelassene Arznei hindert Tumoren daran, für ihr Wachstum wichtige Blutgefäße auszubilden. Dadurch wird dem Krebs die Nahrungszufuhr abgeschnitten, er wird ausgehungert. Behandlungskosten pro Patient und Jahr: 26.000 Euro. Auch gegen Lungenkrebs zeige diese Arznei hohe Effizienz, Kosten pro Behandlung: 31.000 Euro. Ebenfalls neu auf dem Markt ist Erbitux, ein Antikörper der das Tumorwachstum bei Darmkrebspatienten hemmt und die Überlebenszeit von vier auf 33 Monate erhöhen kann. Kosten pro Patient: 156.000 Euro. Bei einem österreichweiten Einsatz der genannten Medikamente wären mehrere Hundert Millionen Euro zusätzlich notwendig.

Dass die nicht da sind, monierten schon andere Mediziner. Dieter Lutz etwa, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, wies Ministerin Maria Rauch-Kallat schon vor einem Jahr schriftlich auf das Problem hin, Ernst Kubista, Leiter der Abteilung für Spezielle Gynäkologe an der Wiener Universitäts-Frauenklinik, erst kürzlich.

"Überall ist es eng", kontert Robert Schlögel, im Gesundheitsministerium zuständiger Bereichsleiter, auf die Kritik. Interessant sei aber, dass die Rufe nach höherem Arzneimittelbudget immer "nur aus Wien kommen". Die Spitäler "müssen halt schauen, wo sie einsparen können, durch Umschichtungen kann noch einiges an Geld freigemacht werden". Abgesehen davon seien die Budgets Ländersache, das Gesundheitsministerium sei der falsche Ansprechpartner. Ärzte sollten sich mit ihren Sorgen an die Spitalserhalter wenden. In Wien sei das der Krankenanstalten-Verbund. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.08.2005)