Luca Ronconis Neudeutung des "Barbiers" überzeugt durch den Blick auf eine aussterbende Gattung.

Foto: Festival Pesaro
In Pesaro heißt es Abschied nehmen: Die alte schäbige Sporthalle, die 1988 als zusätzliche große Theaterbühne adaptierte wurde, hat 2006 ausgedient. Dass es zum Schluss ausgerechnet der Barbiere di Seviglia, die fraglos populärste Oper Rossinis ist, mag programmatisch sein.

Auch wenn Pesaro seinen Ruhm durch Ausgrabungen erhalten hat, nach 26 Festival-Jahren sind die Entdeckungsmöglichkeiten bei Rossini erschöpft, und doch gibt es auch im Barbier eine Rarität: eine mörderische Arie des Grafen unmittelbar vor dem Finale, ein Triumph für Juan Diego Florez, ein Graf ohne Lustspielklischee, sondern Vertreter einer neuen Gesellschaft, die den alten Bürger Bartolo zu demütigen weiß. Wenn dann noch ein weiter Star zu bestaunen ist (Joyce Didonato als Rosina), scheint in Pesaro das Rossini-Glück zu strahlen.

Begonnen wurde 2005 im Teatro Rossini allerdings ein wenig trostlos: mit einer Neuinszenierung von Bianca e Falliero. Dass diese zu Rossinis Zeiten wenig erfolgreiche Oper mit Marylin Horne und Chris Merritt 1986 als sensationelle Entdeckung gefeiert wurde, kann man nur auf CD nachvollziehen.

Jean Louis-Martinotys versuchte durch übersteigerten Realismus, durch Spiegelungen und Überblendungen des Bühnenbildners Hans Schavernoch ein barockes Bild herzustellen, die Effekte blieben aber äußerlich. Renato Palumbo als Dirgent waltete lustlos seines Amtes, und der in Pesaro aufgebaute Star Daniela Barcellona konnte als Falliero nicht reüssieren.

Versöhnung bot eine sorgfältige Neueinstudierung von Dario Fos La Gazzetta-Inszenierung. Die Verwicklungen von Personen, die in einem Pariser Gasthaus sich derart in ihren Intrigen verheddern, dass sie an ihrer Identität irre werden, hat Fo nicht nur mit einer Tanzkompanie, die fast jeden Ton pantomimisch begleitet, sondern auch mit einer Einfallslawine von Gags angereichert, die die Zuschauer zu überrollen scheint. Aus dem prächtigen Ensemble, bei dem man nicht wusste, ob man das Tänzerische oder Sängerische mehr bestaunen sollte, sei stellvertretend Cinzia Forte (Lisetta) hervorgehoben.

Exotik im Nebenhalt

In diesem Zusammenhang ist eine Matineereihe des Festspiels zu nennen, die den Besuch sehr lohnt: Il mondo delle farse. Auf dieses Nebengleis sind, nachdem Rossini abgeerntet wurde, die Neuentdeckungen verschoben. Der Ausgrabungseifer ist im verschütteten Arreal der Oper des frühen 19. Jahrhunderts auf eine noch tiefere Schicht gestoßen. Bei den 90 Minuten langen Farse, zwischen Komik und Sentimentalität angesiedelt, wurde mit viel Ehrgeiz als Zeitgenosse Rossinis Carlo Coccias mit dem Einakter Arrighetto vorgestellt.

Die Modernität Rossinis machte aber doch am meisten Luca Ronconis Inszenierung des Barbiers deutlich. Die Figuren der Komödie bewegen sich auf unsicherem Terrain, schweben über dem Boden wie Marionetten an Seilen.

Zwar hat Gae Aulenti Figaro einen Friseursalon mit vielen Drehstühlen gebaut, aber der Barbier von Dalibor Jennis steht weniger im Zentrum. Die Aktualisierungen wirken unangestrengt, auch wenn Bartolo (Bruno de Simone) Rosina in sadomasochistischer Weise an sich zu fesseln sucht. Im chaotischen Finale des ersten Aktes lässt Ronconi die Personen erstarren, nur der Polizeiwachtmeister gönnt sich still eine Zigarette, um den verrückten Haufen zu betrachten.

Der Musik bleibt so viel Raum, so nuancenreich, so liebevoll von Daniele Gatti und dem Teatro Communlae die Bologna interpretiert, dass man sie ganz neu zu hören meint. (DER STANDARD, Printausgabe vom 13./14./15.8.2005)