Stevenson (Mitte, sitzend) auf Samoa im Kreis seiner Familie und Bediensteten. Ein neues Buch stellt die These auf, dass "Die Schatzinsel" auf Tatsachen beruhe - und Stevenson das Wissen, wo die Insel genau liegt, mit ins Grab genommen habe.
Foto: The Writters' Museum, Edinburgh/Knaus

Alex Capus
Reisen im Licht der Sterne. Eine Vermutung.
€ 18,00/240 Seiten.
Knaus, München 2005.

Robert Louis Stevenson
Emigrant aus Leidenschaft
Ein literarischer Reisebericht.
Aus dem Englischen von Axel Monte.
€ 17,90/320 Seiten.
Manesse, Zürich 2005.

Foto: The Writters' Museum, Edinburgh/Knaus
 Ich hatte ein großes Vergnügen", schwärmte der Komponist Ferruccio Busoni auf seiner Transatlantiküberfahrt im Jahr 1904 seiner Frau in einem Brief vor. "Ich habe Stevenson gelesen. Er ist großartig: ein Geschichtenerzähler, ein Denker, ein Realist, ein Visionär, Dichter, Philosoph, einfach und kompliziert; er hat den Zugriff eines Meisters, wenn er einsetzt, und dieser Griff lässt niemals nach." In jenem Jahr war Robert Louis Stevenson, der Autor der Schatzinsel und des Kurzromans Dr. Jekyll und Mr. Hyde, von Entführt und des unvollendet gebliebenen Weir of Hermiston, knapp zehn Jahre tot. Nicht einmal 45 Jahre alt, war er am 3. Dezember 1894 auf Samoa einem Gehirnschlag erlegen. Bald nach seinem Tod verblasste sein Ruhm, der 1883 mit Treasure Island eingesetzt hatte, unter aktiver Mithilfe jüngerer englischer Schriftsteller, für die seine Bücher alles Schlechte der viktorianischen Literatur zu verkörpern schienen - Verspieltheit und Sentimentalität, Oberflächlichkeit und Manierismus. Erschwerend kam hinzu: Stevenson war Schotte. Der einflussreiche Kritiker H. L. Mencken etwa stufte Stevenson als punktuell zweitklassig ein; und George Orwell mokierte sich über ihn - beide zu Unrecht.

25 Jahre vor Busoni, im August 1879, war Robert Louis Stevenson ebenfalls auf dem Atlantik unterwegs. Allerdings reiste er nicht in der ersten Klasse übers Meer, sondern in der zweiten. Und was er festhielt und beobachtete, erschien unzensiert erst 70 Jahre nach seinem Tod. Der schmale, kränkliche Schotte reiste inmitten eines bunten Haufens Menschen, die in der Neuen Welt auf ein besseres Leben hofften. Von diesen armen Passagieren im Zwischendeck unterschied sich Stevenson. Nicht nur kam er aus wohlhabender Familie - Vater und Großvater hatten als Ingenieure zahlreiche Leuchttürme in Schottland erbaut -, sondern er reiste aus Leidenschaft. Er war auf dem Weg zu der zehn Jahre älteren - und noch verheirateten - Fanny Osbourne, seiner späteren Ehefrau, die von seiner Ankunft überrascht wurde.

Vor allem schrieb und beobachtete Stevenson an Bord. Seit seinem Erstling An Inland Voyage (1878) und den ein Jahr später erschienenen Travels with a Donkey in the Cévennes schrieb Stevenson bis an sein Lebensende, unermüdlich, mit atemberaubender Produktivität und Intensität. Allein seine Korrespondenz, die vor zehn Jahren publiziert wurde, füllt acht voluminöse Bände. Auch an Bord des Auswandererschiffes "Devonia" zog er sich häufig in seine Kabine zurück. Robert Louis Stevenson war nur ein Amateur-Emigrant, so der Titel seines erstmals 1966 vollständig auf Englisch erschienenen und nun von Axel Monte schön ins Deutsche übertragenen literarischen Reiseberichts. Doch was Stevenson von seiner vierwöchigen Reise - per Schiff von Schottland nach New York und dann via Eisenbahn weiter nach San Francisco - berichtet, hat nichts Nostalgisches an sich, nichts Goldsaumverbrämtes. Seine Schilderungen sind fern aller Verklärung und Sepiafärbung, ja sie sind im Gegenteil zutiefst desillusionierend, kritisch bis zum Sarkasmus und leidenschaftlich verurteilend.

Vor allem die Bahnfahrt quer durch Amerika ist eine geradezu diabolische Tortur mit Hunger, Krankheit, Gestank, Verzweiflung, Gier und Primitivität. Inmitten dieses Elends gelingen Stevenson ungemein lebendige Charakterschilderungen, mitfühlende, sympathetische Porträts und hinreißende Schilderungen der amerikanischen Landschaft, die das Urteil der englischen Kriminalautorin P. D. James nachdrücklich bestätigen: "Er verwendet die englische Sprache wunderbar, mit Vorstellungskraft, mit Ökonomie, mit Eleganz. Wir müssen ihn wirklich für das reine Glück des Stils lesen." Dieses Buch ist ein Glück für uns Leser, ein kleiner Schatz.

Auf den Spuren Stevensons sind jüngst Autoren durch Frankreich und die Cevennen, durch Schottland und Edinburgh, durch die Südsee, ja sogar durchs exotische Deutschland gereist. Als Letzter ist der Schweizer Alex Capus nach Großbritannien, in die USA und in die Südsee geflogen. Im Werk des in Olten lebenden Schriftstellers spielt das Reisen, das Unterwegssein seit seinem Erstlingsroman Munzinger Pascha (1997) eine prominente Rolle, ebenso das Ineinandergreifen von Fiktion, Rekonstruktion und Fakten. Nun legt er eine "Vermutung" über den schottischen Erzähler vor. Eine biographische Sensation glaubt Capus präsentieren zu können. Stevenson, der auf Samoa "in einer Art tropisch-barocker Version jener Wohlanständigkeit, vor der er in seinem eigenen Land geflohen war" (Christopher Isherwood), residierte, soll den Standort des sagenhaften, seit 1821 verschollenen Kirchenschatzes von Lima gekannt, und seine Familie soll davon viele Jahre unter der Hand gezehrt haben.

Vermutet wurde als Standort des Schatzes Cocos Island vor der Küste Costa Ricas. Dort soll einst der Schatz vergraben worden sein. Jahrzehntelang wurde dieses Eiland von Schatzsuchern immer wieder umgegraben - vergeblich. Doch es gibt eine zweite Insel desselben Namens: eine Vulkaninsel gleich neben Samoa. Von der Veranda seines Anwesens sah Stevenson direkt auf dieses Cocos Island, das merkwürdigerweise von ihm, der jede noch so kleine Insel dieses Archipels bereiste und beschrieb, nirgendwo erwähnt wird. Zudem unternahmen er und sein Stiefsohn auffallend oft Reisen nach Australien und Kalifornien, deren Sinn und Zweck kaum richtig nachzuweisen sind. Verkauften sie dort vielleicht Teile des Schatzes? War dies die Basis der auffallend luxuriösen Lebensführung der Stevensons noch lang nach Robert Louis' Tod? War dieser Schatz tatsächlich der Grund dafür, dass Stevenson kurz entschlossen all sein Vermögen im Januar 1890 in 1,27 Quadratkilometer Dschungel auf Samoa investierte und dort die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, obwohl das dortige Klima für ihn mehr als schlecht, ja lebensverkürzend war?

Mögen diese Annahmen auch nicht so ganz überzeugen - in der Stevenson-Forschung steht Capus damit allein da -, ihm ist jedenfalls eine sehr lesbare, erzählerisch geschickte und einfühlsame Einführung in Stevensons Leben gelungen. Capus vermag in einprägsamen Szenen viel von der "wunderbaren Leichtigkeit" zu vermitteln, die schon Italo Calvino so an Robert Louis Stevenson schätzte: "Ich liebe Stevenson, weil er den Eindruck vermittelt, er würde fliegen." (DER STANDARD, Printausgabe vom 13./14./15.8.2005)