Herbert Achternbusch
Der Weltmeister
€ 13,-/50 Seiten.
Bibliothek der Provinz, Weitra 2005.

Auf der Titelei des neuen Bilder-Buches "Bier" (Bibliothek der Provinz, € 24,-) von Herbert Achternbuch, aus dem die Illustration stammt, prangt stolz, dick und vierfarbig das Logo der Brauerei "Schneider Weisse", deren Besitzer Georg S. das Werk, "ein Bier geht um die Welt", nicht nur sponsern, sondern auch herausgeben und mit einem Vorwort versehen durfte - wofür sich der bierselige Achternbusch mäzen- und sich selbstlobend bedankt: "Ein bodenständiges Talent wie ich dürfte schon was Seltenes bleiben!".

Bild: Bibliothek der Provinz
Lieber ist er sein "eigener Idiot", als dass er "den Deppen macht für den Hühnerstall". Dort, wo "die Sekundären" den Kulturbetrieb regieren - die Lektoren, Professoren, Filmfuzzis, Fernsehfuzzis, Galeristen, Journalisten, Intendanten. "Wäwäwä!", kräht er lustig-bitter, die Kinderseele im Altbauerngesicht: "Wäwäwä!", seine Generalmetapher für das Geräusch des Getriebes. Was soll er da, der "Geldtöter", dort, wo nur noch Platz ist für die "Primären, die Money-Maker" sind. Herbert Achternbusch, 66. Er hat sie alle durch, die Nobelverlage von Suhrkamp, Hanser, Kiepenheuer, Auftritte, Inszenierungen. Preisgekrönt, medienverwöhnt. Zu seinem Sechziger ist München geflaggt mit seinen Sentenzen, die ganze Geburtsstadt ein einziger Achternbusch. Der, absurd: "Ich bin ein Außenseiter. Das ist mein Los!" Das Los eines alten Kindes, das aus einem Hof mit 700 Jahren Geschichte stammt: "Niemands Herr & niemands Knecht/Das ist Freibauernrecht!"

"Wäwäwä!" Die lederne Motorradhaube schräg auf dem Schädel, das geringelte Clownleiberl um den schmalen Leib, flatternde Ohrenklappen um die Glattrasur. "Brrr brrr!" pilotiert er das Gespräch über die Teetassen hinweg. Achternbusch hat ein neues Stück geschrieben. Darüber wollen wir sprechen. Der Stand-up-Comedian flattert vor Angst, weil in der Rede plötzlich die tote Mutter am Tisch sitzt neben dem untoten Hitler. Und auf dem Tisch liegt neben dem Lebkuchen ein Revolver, mit dem beide sich durch den Mund erschossen haben. Eine Spannung zum Bersten.

Sein neues Stück. Darüber will er nicht reden, spricht aber doch, muss. Hitler ist für ihn Der Weltmeister. Der ihn quält, seit er denken kann. Und da er "den Judenmord in sich stecken spürt", seit er fühlen kann, mag er nicht so "draußen herumplärren wie der Walser und wegschaun und gscheid rumreden wie die Herren Künstler!" Nicht kunstvoll gebrochen sei der Spiegel, den Kunst der Gesellschaft nach Auschwitz vorhalten kann, sondern "zerdeppert". So wie seine Texte "zerdeppert" seien und er ihr "Depp". Das ist das Anarchogramm des Herbert Achternbusch: eine grausige Groteske. Und so ist dieses neue Stück Der Weltmeister eine grausige Hitler-Hanswurstiade, deren Protagonist ein faulender Popanz. Der furzende Führer als stinkende Stele, Unrat redend, Unrat in den Seelen säend. Eine Bramarbasier-Büste, die vom Kaffeeklatsch zum Abort über die Bühne getragen wird und wieder retour in die autobiografische Runde von Oma, Mutter, Exfreund Bierbichler und Exgeliebter Annamirl Bierbichler.

Die GröFaZ-Skulptur will nicht zurück nach Österreich; da sie das falsche Volk umgebracht hat, möchte sie nach Israel, um an den Arabern "den blutigen Gedanken zu Ende zu denken". Aus der sich wälzenden Suada des Stückes mit seinen krausen Dissoziationen tritt die These hervor: "Die Deutschen haben Adolf Hitler über alles geliebt und kennen die Liebe nicht mehr!" Und wer soll einen solchen Albtraum auf die Bretter bringen? "Eh Wurschd!", raunzt Achternbusch. Allein der Gedanke des Weltmeisters tröste, und das Schreiben an sich sei die größte Lust. "Der Peymann hat mir nie was woll'n. Der versteckt sich immer nur hinter seinem Knecht, wie heißt er nur, Beil, und der zahlt mir den Kaffee im ,Café Landtmann'. Eine Freikarte dazu. Das war's!" Und - "Brrr brrr!" - gleich wird "Herbert, der Motorradlritter" über die Metamorphose des reinen Toren zum glasharten Analytiker des Theatermarktes und seiner Konjunkturritter.

Nur wer was bringe für "die Bewusstseinsbäder" einer durch "Subventionen verblödeten Bühnenwelt", der werde flächendeckend abgespielt von Thomas Bernhard bis - "Wäwäwä!" - Frau Jelinek: "Geisteskranker Sumpfbildungswahn!" Da bleibt er lieber frei im Abseits, mit dem Rücken zur Wand, wie er sagt, geht nirgendwohin, wo's wichtig ist und wirft in Ruhe seinen bösen Blick auf "das gackernde Panoptikum" derer, "die sich aufführen!" Gebührlich aufführen natürlich. Wer sich "ungebührlich" aufführt und das Enfant terrible nicht nur spielt, der bezahlt einen hohen Preis. Einen Herbert Achternbusch erträgt, so scheint es, die heutige Kulturindustrie, anders als vor 20, 30 Jahren, nicht mehr. Oder? Taucht das Fossil wieder auf?

Lange genug hat er sich ja ungebührlich genug benommen in seinem öffentlichen und privaten Leben. Da verbrennt er, der Gekürte, den respektabel hohen Petrarca-Preis-Scheck; da will er, der Verlassene, mit einer namentlich gekennzeichneten Heiratsanzeige in der Zeit seine Frau Judith zurückgewinnen, veröffentlicht ihren Namen und ihre Maße gleich mit; da führt er, der Filmgeförderte, zehn Jahre lang alleine einen Prozess gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil ihm der CSU-Innenminister wegen Gotteslästerung Gelder nicht ausgezahlt hatte. So zofft, brüskiert und bricht er in seinen Arbeits- und anderen Beziehungen herum, dass es nur so kracht, wie es einem halt aus dem Bauch kommt, wenn man nie älter geworden ist, sagt er, "als zwölfe". Grobianisch dazu: "Leid tut mir nix!" Aber gleich darauf treuherzig der Gram über "den Topf voll Scheiße im Kopf", wo diese "ungute Ursuppe" ihm morgens beim Aufwachen die Brüche und Widersprüche von Werk und Leben "durchkocht".

Dabei ist er der denkbar charmanteste Renitenzler, der lämmersanfteste Berserker, der zärtlichste Derblecker. Unendlich verletzt, ein Angstbeißer also. Der sich verschanzt in seinen beiden Wohnungen in München und in seinem barocken Forsthaus im österreichischen Waldviertel, in dem er phobisch Wände, Decken, Böden bemalt und übermalt. Im Hof unterhält er eine bemalte Holzbühne, auf der kein "Wäwäwä" gespielt werden darf, und daneben einen bemalten Holztempel, in dem kein "Wäwäwä" gebetet wird.

Aber einen Verleger hat er wieder gefunden, dortselbst. Es ist "das Richardl", der Herr Pils, dem die "Bibliothek der Provinz" in Weitra gehört. Seinem Editor, 21 Stück Achternbusch hat er in zehn Jahren bereits verlegt, ist er "ein Universalgenie, das mir aus Herz, Seele und dem Lüngerl spricht, ein Freund dazu und überhaupt der bedeutendste kulturschaffende Bierkämpfer Mitteleuropas".

Ob die Hitler-Konjunktur Achternbusch jetzt aus dem Konjunkturloch hebt? Oder ob er Kassengift und Umsatzkiller bleibt? "Eh Wurschd!", die Verlagsbilanz. 1000 Stück pro Büchl wird er schon verkaufen, der Herr Pils, der ganz unspekulativ sich auf den "Deifi Herbert" und sein molochhaftes Gesamtwerk eingelassen hat. Literarischer Artenschutz? Diesem Widerborst mit seiner programmatischen Unbedingtheit und seinem unberechenbaren Programm soll ein Platz gesichert sein jenseits des Windkanals der Buch-Branche. Aber ein Honorar, gibt der Krachlederne sich nonchalant, hat "das Pilsl" ihm bis dato nicht überwiesen. Und der Rest? Die immersüße Provokation des Neinsagens gegen die Sehnsucht nach dem ausbleibendem Erfolg? "Es tut nicht mehr weh!", titelt er ein Bild. Und überschreibt die bemalte Fläche mit lauter "Doch! Doch! Doch!" (DER STANDARD, Printausgabe vom 13./14./15.8.2005)