Geschichte wiederholt sich angeblich nicht. In Deutschland tut sie es doch. Zehntausend Menschen sind am Wochenende auf den Opernplatz in Hannover gekommen, um Kanzler Gerhard Schröder zu hören. Sie erlebten einen Regierungschef, der in der Iran-Politik einen guten Rat für US-Präsident George Bush parat hatte: "Nehmt die militärischen Optionen vom Tisch. Wir haben erlebt, dass sie nichts taugen."

Vor genau drei Jahren ist Schröder auf demselben Platz gestanden und hat fast das Gleiche gesagt: "Wir sind zu Solidarität bereit. Aber dieses Land wird unter meiner Führung nicht für Abenteuer zur Verfügung stehen." Es ist nahezu grotesk, aber seine Tiraden unterscheiden sich nur in einem Buchstaben: 2002 warnte er vor einem Krieg gegen den Irak. Jetzt muss eben der Iran für Schröders Wahlkampfzwecke herhalten.

Die Deutschen haben zurzeit also ein ziemliches Friedens-Déjà-vu, und viele erinnern sich mit ungläubigem Kopfschütteln an die Witze, die noch vor wenigen Wochen in Berlin kursierten, als die CDU in Umfragen von einem Höhepunkt zum anderen flog: Jetzt kann Schröder nur noch ein neues Hochwasser retten. Oder Bush greift den Iran an.

So weit sind die Amerikaner längst noch nicht. Aber Schröder, Regierungschef mit Ablaufdatum, attackiert sicherheitshalber schon mal die USA. Sein Kalkül: Was vor drei Jahren schon einmal funktioniert hat, muss doch jetzt auch wieder klappen. Erinnern wir uns an den heißen Sommer 2002. Wie ein Wanderprediger zog der Kanzler durch das Land und sagte immer wieder das Gleiche: keine Abenteuer, kein Krieg, böse Amis, gute Deutsche, die den Frieden wollen. Und dann zog seine Antikriegsmasche tatsächlich. Knapp schaffte es das rot-grüne Kabinett, sich im Amt zu halten.

Analysen nach der Wahl bestätigten, was Schröders Instinkt schon lange zuvor geahnt hatte: Die deutliche Abgrenzung zu den USA war für viele Menschen der entscheidende Grund, ihr Kreuz doch noch einmal bei der SPD zu machen - vor allem im Osten, was dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber noch heute Tränen der Wut in die Augen treibt.

Auch jetzt, wenn allerorten schon über sieben Jahre Rot-Grün Bilanz gezogen wird, kommt immer wieder eines durch: Schröders striktes Nein zum Irakkrieg und seine vehemente Weigerung, nach Kriegsende deutsche Soldaten in den Irak zu schicken, rechnen ihm sehr viele Deutsche - bei allem Groll gegen seine Sozialreformen - ziemlich hoch an.

Wie ging es dann 2002 weiter? Der "Friedenskanzler" gewann die Wahl, der Irakkrieg fand trotzdem statt - und das deutsch-amerikanische Verhältnis war lange Zeit schwer gestört. Erst langsam, Schritt für Schritt, kamen sich Berlin und Washington wieder näher, Freunde wurden Bush und Schröder jedoch nie.

Obwohl die Beteuerung, es sei ganz wichtig, dass zwischen Deutschland und den USA nun wieder eine gute und stabile Beziehung herrsche, fester Bestandteil jeder außenpolitischen Rede eines deutschen Politikers ist, setzt Schröder dies alles jetzt wieder aufs Spiel - nur, um mit einem durchsichtigen und populistischen Manöver den gebeutelten Sozialdemokraten zu ein paar mehr Stimmen zu verhelfen. Vergessen ist der politische Grundsatz, dass, wer etwas erreichen will, sich immer möglichst viele Optionen offen halten sollte. Anders ausgedrückt: Um innenpolitisch zu punkten, knipste Schröder kurzfristig den außenpolitischen Verstand aus.

Interessant ist aber auch die Reaktion der Union. Zunächst natürlich Empörung. Aber dann schwenkte Generalsekretär Volker Kauder schwuppdiwupp auf Schröders Linie ein und verkündete: "Es gibt da gar keinen Streit." Noch einmal will sich die Union, die den Wahlsieg wieder zum Greifen nahe sieht und die ohnehin ständig im Verdacht steht, jederzeit mit George Bush enger zu kooperieren als vielen Deutschen das lieb wäre, nicht vom Instinktpolitiker Schröder austricksen lassen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2005)