Salzburg - Was die internationale Klavierszene anbelangt, möchte man die Festspiele nicht eben als Vordenker bezeichnen, mitunter reagieren sie mit Verspätung oder überhaupt nicht. Namen wie Grigory Sokolov, Zoltán Kocsis, Mikhail Pletnev oder Marc-André Hamelin seien genannt. In diesem Zusammenhang schmeckt das Debüt von Lang Lang, denn dieser gottbegnadete Fingerartist spielt nun schon seit Jahren landauf, landab.

In Salzburg erschien der umjubelte, TV- und gesellschaftsumworbene Mediator des Angepassten mit eben jenem Klassik/Romantik-Programm, dessen flirrende, im Liszt-Finale schier akkordfressende Brillanz die Deutsche Grammophon bereits vor drei Jahren in der New Yorker Carnegie Hall als "Debüt" feiern und verewigen konnte.

Lang Langs Finger sind in aller Munde - und diese Endkapazitäten eines unendlich strapazierfähigen Musikkörpers funktionieren mit allerniedrigster Fehlerquote. Aber sie zeigen, sie unterrichten den Kenner Schubert'scher, Haydn'scher oder Liszt'scher Denkspiele nur am Rande, welcher Dramaturgie die betreffenden Stücke in ihren Bildern, Assoziationen und Personenbezügen folgen, welche literarischen und operndramatischen Impulse den Händen auch warnend Einhalt gebieten, um der Nachdenklichkeit, wenn man will: der introvertierten Virtuosität Raum und Nahrung zu geben.

Man wage diesem Musiker Glück zu wünschen auf einer gefährlichen Bahn des allzuleichten Gewinnens an der in seinem Sinne zurzeit florierenden Börse des Musikbetriebs. Möge er bei aller staunenswerten Fähigkeit, alles lecker zu handhaben, nicht die Fähigkeit verlieren, den Träumen nachzuhängen, alles Gespielte seinen Bewunderern auch zu erklären.

Ohne Lang Lang aber mit gleich drei Klavieren präsentierten sich die Wiener Philharmoniker und Dirigent Riccardo Muti im Großen Festspielhaus. Auch sonst ist Goffredo Petrassis Chor der Toten (mit Kontrabässen, Schlagwerk, Chor und Blechbläsern, aber ohne Geigen) ungewohnt besetzt. Es mixt auch stilistisch Moderne mit kultivierter alter Mehrstimmigkeit.

Bei Muti ist es in engagierten Händen, man hört ein vielschichtiges Stück der Betroffenheit über den 2. Weltkrieg. Brahms' Vertonung von Friedrich Hölderlins Schicksalslied (aus dem Hyperion) wirkte da schon etwas gar kulinarisch, wohingegen Beethovens 5. Symphonie von Mutis kontrollierter Energie profitierte. Hier ging es um Kontraste zwischen äußerster Wucht und zartem Zugang. In recht flotten Tempi, keinesfalls verstörend, aber durchwegs sehr überzeugend. (cos, tos, DER STANDARD, Printausgabe vom 16.8.2005)