Zu uns sprach (Kommentar der anderen, 10. August 2005) endlich der Vater der Niederlage vor dem EuGH: Dr. Sigurd Höllinger, Sektionschef für Universitäten im Bildungsministerium. Er hat das getan, was ihm richtig schien, und er hat es so getan, wie er es für richtig hielt. Am Ende stand freilich der komplette Misserfolg.

Dass man daraus so viel Stolz und Selbstbewusstsein schöpfen kann, wie er es tut, ist bewundernswert: "Das Richtige zur rechten Zeit getan . . ." Ich sage: "Einspruch, Euer Ehren!" Ministerin Gehrer und Sektionschef Höllinger sind auf ganzer Linie vor dem Gerichtshof gescheitert, haben zu wenig getan und das auch noch zu spät.

Der Reihe nach: Der erste schwere Fehler war, dem EuGH gegenüber nur Zahlen über das Fach Medizin vorzulegen. Als das nichts nutzte, hat man schnell noch die bis dahin nicht vorgetragenen Befürchtungen in anderen Fächern nachgereicht. Zu spät, urteilte der EuGH, die Beweisaufnahme ist abgeschlossen.

Ich frage mich: Hat Höllinger nicht gewusst, wie der EuGH seine Verfahren abwickelt, oder diente diese Eingabe fünf vor zwölf nur der Rechtfertigung im eigenen Land? Frei nach dem Motto: Wir haben eh alles versucht, nur der böse EuGH . . .

Der zweite schwere Fehler des Sektionschefs war, seiner Chefin Gehrer nicht von allem Anfang an zu raten, eine politische Lösung des Problems anzugehen. Wenn ich ihn im STANDARD-Kommentar richtig verstanden habe, ist sein Argument: Erst muss die Katastrophe eintreten, dann kann man dagegen politisch antreten. Würde man bei der Feuerwehr auch so denken, bestünde ganz Österreich aus Brandruinen . . .

Fehlkalkulation

Der dritte große Fehler war, sich nicht rechtzeitig um den Tag danach zu kümmern. Spätestens nach dem Urteilsantrag des Generalanwalts beim EuGH im Jänner 2005 hätten Höllinger und Gehrer handeln müssen. Keine Rede davon, wie selbst Rektorenchef Badelt öffentlich beklagt. Keine Rede auch davon, etwa dem Gutachten des Grazer Professors Brünner vom April 2005 zu folgen. Keine Rede davon, rechtzeitig im Nationalrat darüber zu reden. Am 5. Juli 2005 traf man sich zum ersten Mal, der düsteren Lage entsprechend, in einem Hinterzimmer des FPÖ-Klubs.

Als dann alles zu spät war, griffen Höllinger und Gehrer zu ihrer rhetorischen Lieblingsfigur: Die "autonomen Unis" würden schon selbst das Beste finden, und die Ministerin könnte ihre Hände in Unschuld waschen. Voll daneben gegangen, die Öffentlichkeit gibt zu Recht Frau Gehrer die Schuld an der Uni-Krise und straft sie mit Liebesentzug (OGM-Vertrauensindex Juli 2005, Absturz Gehrers auf den letzten Platz in der Regierung).

Weil aller schlechten Dinge in diesem Fall aber vier sind: Höllingers Fehler 3+1 war, den Unis nicht vernünftige Vorgaben zu machen. So passiert viel Unvernünftiges in diesen Tagen: An der Medizin-Uni Innsbruck entscheidet auch die Güte des Bewerbungsschreibens über die Zuteilung eines Studienplatzes. Das tut weh. Und das von Höllinger und Gehrer akzeptierte Kriterium "Maturazeugnis" halte ich für hinterfotzig. Nach der Matu- ra jemandem zu sagen, "hätt'st dich halt mehr ang'strengt, selber schuld, wenn du diesen Numerus clausus light nicht vorausgeahnt hast", ist gegen Treu und Glauben. Oder, um es mit den Worten des Wiener Rektors Winckler zu sagen: "Die Eignung für ein Studium kann nicht aus dem Maturazeugnis, sondern erst aus der Befassung mit dem Fach selbst abgelesen werden." (APA, 12. 8.)

Warum fallen dem Sektionschef Höllinger solche Selbstverständlichkeiten nicht ein, um warum greift er nicht ein, wenn an manchen Unis der Hausverstand weniger entwickelt ist als an der Uni Wien?

Vor elf Jahren wusste er es noch besser: "Studieneingangsphasen, ,Knock-out-Prüfungen' und ähnlichen Maßnahmen, die mehr Schaden anrichten, als sie Probleme lösen . . ." So ändern sich die Zeiten. Vor elf Jahren wusste der Sektionschef Höllinger noch, dass man die Jugend an die Unis lassen muss. Jetzt mutiert er zum Architekten von Zugangsmauern. Schade!

Einer meiner Chefs im ORF hatte an seiner Zimmerwand stets den Satz von Rainer Maria Rilke vor Augen: "Wer spricht von Siegen - Überstehen ist alles." Sigurd Höllinger hat es überstanden. Ich wünsche ihm nach seiner Pensionierung recht bald einen Job als Konsulent der Rektorenkonferenz. Aufgabe: öffentliche Darstellung der Finanznöte der Universitäten und Lobbying für eine Universität der Zukunft. Bessere Voraussetzungen als er bringt dafür niemand mit. (DER STANDARD-Printausgabe, 14./15.8.2005)