Bern - Der Schweizer Koordinator für den Nahost-Friedensprozess, Botschafter Nicolas Lang, sieht in Israels Abzug aus dem Gaza-Streifen eine Chance und eine Gefahr. Grundsätzlich begrüße die Schweiz die Aussicht auf einen kompletten israelischen Gaza-Abzug und auf die Räumung von vier Siedlungen im Westjordanland - "unter der Bedingung, dass diese Räumungen als Schritt bei der Umsetzung der Roadmap angeschaut würden", betonte der Spitzendiplomat am Dienstag in einem Interview mit der Schweizerischen Depeschenagentur.

"Genfer Initiative"

Die UNO-Generalversammlung hatte die Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen aufgefordert, die Möglichkeiten für die Abhaltung einer internationalen Konferenz der Vertragsstaaten zu prüfen. Die Vierte Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung in besetzten Territorien verbietet u.a. die Abriegelung von Gebieten, die Ansiedlung der Zivilbevölkerung der Besatzungsmacht auf besetztem Gebiet und Kollektivstrafen wie Häuserzerstörungen. Die Schweiz unterstützt den parallelen Nahost-Friedensplan "Genfer Initiative". Dieser stammt vom früheren israelischen Justizminister Yossi Beilin und dem palästinensischen Politiker Yasser Abed Rabbo. Die Vereinbarung hat die Anerkennung des jüdischen Charakters des Staates Israel durch die Palästinenser, die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates im Westjordanland und Gaza-Streifen, Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt und den Verzicht der Palästinenser auf ein umfassendes Rückkehrrecht zum Inhalt.

Der israelische Rückzug werde sehr wahrscheinlich positive Auswirkungen auf die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen haben, sagte Botschafter Lang. "Man darf nicht vergessen, dass der Rückzug der israelischen Siedler und die Aufgabe der Siedlungen ein historisches Ereignis darstellen. Das letzte Beispiel eines solchen Entscheids Israels war der Rückzug aus den Siedlungen im Sinai im Rahmen der Umsetzung des Friedensabkommens mit Ägypten". Allerdings sei schwer zu sagen, was während und nach dem Rückzug Israels geschehen werde. Es gebe auch Anlass zur Sorge, sagte der Diplomat unter Hinweis auf die Schwierigkeiten der palästinensischen Behörden, die Sicherheit im Gaza-Streifen zu garantieren.

Die Schweiz hat Ende Juni zusammen mit Harvard-Experten ihr Modell für einen humanitären Zugang zum Gaza-Streifen in Notfallsituationen präsentiert. Laut Lang besteht sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite ein Interesse für ein solches Reglement; ob es auch angewandt werde, sei aber offen. Lang hatte von 2001 bis 2003 das Schweizer Verbindungsbüro in Ramallah geleitet. (APA/sda)