Das geschundene Fleisch und die Schrift (im Bild: Jiri Cerný) - mit dem "Törleß" schloss die höchst durchwachsene Nachwuchsreihe der Salzburger Festspiele

Foto: Freese/DRAMA
Salzburg - Der undurchdringlich dicht gewebte Törleß-Text des Jahrhundertdichters Robert Musil ist ein nach oben hin geschlossenes, finsteres, durchzugsloses, gegen Einblicke von außen absolut abgesichertes Gebäude. Eine Versuchsstation, in der die überwiegend unerfreulichen Konviktserlebnisse eines sensitiven Zöglings in der k. u. k. Zeit eine "education sentimentale" im schmachvollsten Schnelldurchgang erfahrbar lassen werden.

Musils geistvolle Prosa hat etwas von Spinnenbeinen und Flimmerhaaren. Sie tastet die zartesten Regungen einer maßvoll intelligenten Pubertierendenseele mit quasi naturkundlichem Interesse ab. Auf Törleß krabbeln aber auch schon früh genug die Mistkäfer einer bodenlos amoralischen Gesinnung herum - indem er das Martyrium eines sich minder schwer verfehlt habenden Klassenkameraden als sexuell teilnehmender Experimentalspielleiter erlebt.

Im Salzburger republic, wo nun der Prager Spielvogt Dusan David Parizek aus den Verwirrungen des Zöglings Törleß ein so wunderweiches wie knabenreiches Oratorium zusammengefertigt hat, teilt sich etwas von dieser szenischen Ausdünnungslust auch den Zaungästen der Reihe "Young Directors Project" mit.

Hier soll weder etwas szenisch beglaubigt noch dramatisch erregt werden. Etwa ein überraschend aufglimmender Interessenszündfunken, der aus der gebändigten Hysterie eines braven, milchweißen Redereferenten (Alexander Khuon) mehr machte als das bühnentauglich absolut unumgängliche "Jungs"-Wunder (die Rede ist immerhin von einer Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin mit dem Prager Kammertheater).

Pädagogische Haltung

Im republic wird in leitpädagogischer Aufsagehaltung der Musil'sche Geist in schön geschwungene Flaschen abgefüllt: Jünglinge, die aufgrund der Erzählperspektive ja kaum merken, geschweige denn wissen können, was sie da zusammenreden, fassen ganze Seiten voll trockenster, aber auch unerhörtester Reflexionsprosa in seminaristischen Eilreferaten zusammen.

Sie stehen vor einem Kartonhäuschen, das Bühnenbildner Olaf Altmann als mannshohes Notausgangskästchen gebaut hat. Das piktogrammatische Abgangsmännchen mit den hübsch abgeknickten Dauerläuferbeinchen fährt während trostloser 80 Minuten auf einer Schiene querüber: Wer da kann, legt die Bastelbühne offenbar nahe, solle sich retten, ehe es zu faschistisch wird.

Denn die schön gekämmten (Gabor Biedermann) oder jugendkulturell widerborstigen (Niklar Kohrt) Klassenkameraden des naseweis erregten Törleß halten in kleinen Dosierungen bereits das Gedankengift kommender Generationen bereit. Gequält wird, wer gewisser Anteile an Menschenwürde aufgrund beliebiger Vorschreibungen für verlustig erklärt wird. Man darf in Musils Abriss den Nietzsche entdecken; man kann aber auch über Gemütsrohheit handeln, die noch die heutige Wettbewerbsgesinnung zur Tugendmaxime einer blinden Mehrwertschöpfung verklärt.

Nur leider wird dieser erschütternde, quälende Befund bei Parizek niemals bühnenauffällig oder gar handlungswirksam. Man sieht die Knäblein mit einem Overhead-Projektor hantieren - dergestalt, dass sie die auf Folie gepressten Buchseiten (vermutlich der Törleß-Erstausgabe) einander via Lichtwirkung auf die Körper schreiben.

Törleß' homoerotisches Interludium mit dem Opfer Basini (Jiri Cerný) gerinnt zur verquälten Annäherung unbehauster, mit Lieblosigkeit traktierter Körper. Es ist der stillste, berührendste Moment in einer reichlich neunmalklugen Buchbebilderungsübung. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 8. 2005)