Ein Eyecatcher hoch über den Köpfen der Besucher im Stiegenhaus: "Open up your tired eyes" von Axel Heil und John Isaacs aus 1999. Der hängende Mann ist übrigens Axel Heil selbst.

Foto: Werner Reichel
Da ist für jeden was dabei – und doch generiert die Vielzahl der gebotenen Blicke Beliebigkeit.


Salzburg – "Ohs" und "Ahs" entlockten sie noch Ende des 19. Jahrhunderts: auf Pferden turnende Artisten, hüpfende Kängurus oder gar der Arbeiter an der Werkbank. Die ersten bewegten Bilder eröffneten sich im Blick durch einen schmalen Schlitz in eine sich drehende, verheißungsvolle Wundertrommel – auch Zoetrop genannt. Umdrehung für Umdrehung ein unendliches Faszinosum, das im Hightech- Zeitalter digital animierter Bilder, gerade seiner simplen optischen Konstruktion wegen, ebenso begeistert wie ein Daumenkino.

Ähnlich konstruiert ist auch die Ausstellung 'Les Grands Spectacles', die im Museum der Moderne am Mönchsberg auf drei Etagen 120 Jahre Massenkultur abspult. Das Bilderkarussell beginnt sich zeitlich dort zu drehen, wo urbane Vergnügungskultur wie Varieté und wenig später Kinematografie nicht mehr allein die Bourgeoisie zerstreute und die Entwicklung von Foto und Film zu späteren Massenmedien einsetzte.

Der Taumel der Zeitreise wird von den Kuratoren Margit Brehm und Roberto Ohrt effektvoll durch heutige Zeitgenossen unterbrochen: Douglas Gordons gehandicapter Kriegsveteran trifft auf athletische Boxer, die Edward Muybridge 120 Jahre zuvor auf Lichtbild gebannt hat. Grausame Folterszenen von James Ensor und gleich daneben Raymond Pettibon. Dort stirbt Superheld Batman am durch Strangulation verlängerten kleinen auch den großen Tod. Weiter, weiter!

Vorbei an Dadaisten, Situationisten, Lettristen, Aktionisten. Warhol und Beuys zwinkern sich müde zu. Jean Tinguelys Phallus-Skulptur explodiert neben Gelatins pinkelndem Viagra-Mann – und weniger organisch führt Michael Light hinter der nächsten Ecke die befremdliche Schönheit atomarer Sprengstoffe vor.

Weiter! Keine Zeit zum Schwindligwerden. Im obersten Stockwerk wartet alles, was im aktuellen Kunstgeschehen gut und teuer ist und auch als Leihgabe eine dicke Börse voraussetzt. Ein Akt der Potenz – und offenbar auch die Abschiedsshow für die mit Jahresende scheidende Direktorin Agnes Husslein-Arco: Martin Kippenberger also, John Baldessari, Jeff Koons, Paul McCarthy, Candida Höfer, Vanessa Beecroft, Cindy Sherman, Matthew Barney ... Stopp!

Im kontinuierlichen Sog der Spektakelbilder verschwimmt das, was hinter der maskenhaften Ästhetik von Matthew Barneys Arbeiten liegt. Denn unter der Oberfläche seiner opernhaft inszenierten Filme der 'Cremaster'-Serie schlummert mehr: Themen, das Geschlecht betreffend, die Gentechnologie oder die zunehmend entmenschlichten, fitnessgestählten und skalpell- beschönigten Körper.

Hier zeigt sich das Dilemma von 'Les Grands Spectacles': Sobald man Gas gibt, fügt sich eins ins andere – bremst man das Tempo ein, erscheint manches vom Thema "Spektakel" regelrecht vergewaltigt.

Fast enzyklopädisch weiß man für alle Geschmäcker etwas zu bieten. Kein schlechter Service-Gedanke, aber am Mönchsberg wirft man gar viele Blicke auf die Kunst des polternden Schauspiels – und wird dabei natürlich auch selbst zum Darsteller. Wo das Museum der Moderne thematisiert, dass die Kunst vom Hunger nach Events verzehrt wird, putzt sich die Ausstellung selbst damit auf. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.8.2005)