Gerade wird in Deutschland wieder heftig geschimpft. Bayerns Ministerpräsident Stoiber sagte ein paar Allgemeinplätze über den Osten, dessen reale und vermeintliche Vertreter schimpfen fleißig zurück. Es geht wieder einmal ums Geld, um Dankbarkeit und die Neuwahl. Der 18. September beschert Deutschland nicht nur eine neue Regierung, sondern auch eine veränderte parlamentarische Parteienlandschaft. Die dokumentiert dann die gewachsene Spaltung Deutschlands durch die immensen Stimmzahlen für die Linkspopulisten im Osten.

Die Verführung, Protest zu wählen, ist diesmal sehr groß. Die einen wollen den Westen weghaben, die anderen nur mehr Geld von drüben – dritte setzen die SPD unter Druck, und die vierten finden es nur amüsant, mal zu sehen, was passiert, wenn die Linken in der Ex-DDR stärkste Partei werden.

In gewissem Sinn bietet die PDS samt Bildungswerken die erfolgreichste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach der Einheit im Osten. Stoiber hat recht: Der Osten ist schon frustriert. Krisenstimmung herrscht – die Einbildung einer aussichtslosen Lage mischt sich mit einer echt schwierigen Situation. Hartz IV greift nicht und schürt durch viele Pannen Angst vor Bürokratie und Verarmung. Wählen oder nicht wählen gehen, das wird am 18. September zur entscheidenden Frage. Ohne Angela Merkel bekäme die CDU in Ostdeutschland noch weniger Stimmen.

Ein Blick zurück erklärt die Gegenwart: Die Ostdeutschen hatten 1990 die alte Bundesrepublik als Erfolgsmodell gewählt, ohne sich sonderlich mit ihren föderalen und verfassungsmäßigen Strukturen zu beschäftigen. Sie wählten eine vermutete Demokratie, die sie nur per Fernsehen und Rundfunk kennen konnten. Während sich in der alten Bundesrepublik eine importierte Demokratie nach dem Krieg langsam zu einer gewohnten und im guten Sinne gewöhnlichen verwandelte, besteht diese gefühlte Grundübereinkunft im Osten Deutschlands mehrheitlich nicht. Wie auch, die alte Bundesrepublik scheint sich in einem diffusen Europa aufzulösen, die lang ersehnte D-Mark musste gegen eine als "Teuro" empfundene Währung abgegeben werden. Nichtwähler und jene der Links-Partei repräsentieren auf eine verdruckste Weise auch eine Stimmung gegen eine sich erweiternde EU – Oskar Lafontaine nützt das geschickt, seine Griffe in die rhetorische Fremdarbeiter-Warnungskiste sind eher antieuropäisch als rechtsradikal grundiert.

Wortlos beharren,

sinnlos schwätzen

Die Demokratieskepsis Ost kommt aus zwei Richtungen: Ein Taxifahrer in Leipzig fühlt sich heute wie vor dem Untergang der DDR und plant die Auswanderung. "Nach Kuba oder in die Schweiz", lautet seine merkwürdige Alternative. Er hat halt gute Freunde in Kuba – was auch etwas über seine DDR-Herkunft aussagt.

Auch die rechten Demokratie-Anzweifler sind nicht nur im Taxi zu hören. In Erfurt plädierte einer vehement für das Bismarck'sche Wahlrecht. Nur wer Steuern zahle, darf zur Urne, damit "das Gesindel" draußen bliebe.

Wie viel Trotz verträgt das Land? Das fast einhellige Gerede von den notwendigen Veränderungen im Staate erzeugt eine wortlose Gegenreaktion. Sie beharrt auf dem Erreichten – hartnäckig und gleichzeitig unauffällig. Stoiber spürt das und findet kein Mittel dagegen. Außer schimpfen. Die anderen können sich mit Anti- Stoiber-Gerede zum Rächer der Ostdeutschen hochschwätzen, die zu gern ihre Streicheleinheiten als Menschen mit schwierigen Lebensläufen kassieren. Das bringt den neuen Bundesländern aber weder Arbeitsplätze noch Aufschwung. Und während pflichtbewusst heftig weiter debattiert wird, gerät ein Jahrestag kaum ins Blickfeld, ohne den es heute keinen Wahlkampf in der ehemaligen DDR geben würde:

Am 14. August vor 25 Jahren begann auf der Danziger Werft der große von Solidarno´c´z ausgerufene Streik, der die Welt verändern sollte. Wie viele Ost- und Westdeutsche hätten damals für möglich gehalten, dass im polnischen Osten auch ihre Zukunft mitentschieden wird? Nicht viele, in manchen Fragen waren und sind sich Ossis und Wessis eben doch sehr einig. (DER STANDARD, Print, 18.8.2005)