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Trauer in Neveh Dekalim beim Verlassen der Häuser.

Foto: APA/epa/Stefan Zaklin
Die israelische Armee begann am Mittwoch wie angekündigt mit der Zwangsräumung der 21 jüdischen Siedlungen im Gazastreifen. Mehrere Hundert Siedler zogen sich in Synagogen zurück.

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Gegen neun Uhr früh begann die Zwangsräumung, und unter den ersten Zielen der massiv aufmarschierenden Sicherheitskräfte waren mit Neve Dekalim, Morag und Ganei Tal auch Siedlungen, die zu den widerspenstigsten gezählt wurden. Da und dort waren Hindernisse aufgebaut, doch die rund 4000 verbliebenen Siedler, verstärkt durch geschätzte 3000 radikale Jugendliche, die zur "Verteidigung" der Siedlungen von außen eingesickert waren, waren schon zahlenmäßig den 15.000 männlichen und weiblichen Soldaten und Polizisten nicht gewachsen.

Die Armee rechnete optimistisch damit, dass schon nächste Woche alle jüdischen Zivilisten aus dem Gazastreifen entfernt sein könnten, zugleich wollte man zunächst geduldig bleiben und weiter versuchen, die Siedler zum Abzug zu überreden: "Wir werden das langsam angehen", sagte der Chef des Südkommandos, General Dan Harel, zu Beginn der Operation. Bei einer Pressekonferenz in Jerusalem rief Premier Ariel Sharon die Siedler auf, ihren Zorn nicht an der Armee auszulassen. Etwa zur gleichen Zeit kam es an einer Straßensperre außerhalb des Gazastreifens zum schwersten Zwischenfall des Tages, als eine 54-jährige Frau sich offenbar aus Protest gegen den Abzug anzündete und schwere Verbrennungen erlitt.

In Neve Dekalim, der winzigen "Hauptstadt" der jüdischen Siedlungen im Gazastreifen, stieg in der Früh schwarzer Rauch von brennenden Abfallbehältern auf, aber das konnte die vorrückende uniformierte Phalanx nicht stoppen. Siedler und junge Rechtsaktivisten wurden abgeschleppt und unsanft in Busse verfrachtet, anderswo wiederum weinten und beteten Soldaten gemeinsam mit den Siedlern, die weggebracht werden sollten.

Eine junge Soldatin hatte den Arm um die Schulter eines schluchzenden Mädchens im orangen T-Shirt der Abzugsgegner gelegt. "Nimm sie, vertreibe sie!", rief ein Vater mit blauem Käppchen und hielt seine heulende kleine Tochter einem Offizier entgegen, der verlegen wegschaute. Die Bewohner von Morag hatten ihr Siedlungstor in der Nacht mit Brettern und Stacheldraht verrammelt, am Vormittag war dann eine Kolonne von Kinderwagen und Soldaten mit Kleinkindern auf dem Arm zu sehen, als der Kindergarten ohne Zwischenfälle geräumt wurde.

Das heikelste Problem war die Räumung der Synagogen, wo sich Siedler versammelten, um in kollektivem Protest die Soldaten zu erwarten. In Morag ließen sich die Siedler von Soldaten aus der Synagoge führen oder tragen. Doch in Neveh Dekalim, wo sich vielleicht Hunderte ins Bethaus zurückgezogen hatten und mit Lebensmitteln für einige Tage ausgerüstet waren, drohte sich ein Belagerungszustand zu entwickeln. (DER STANDARD, Print, 18.8.2005)