Erst die Heuschreckenplage in Deutschland, anschließend das Dogma der Evolutionstheorie. Der Sozialdemokrat Franz Müntefering und der Kardinal Christoph Schönborn haben unterschiedliche Glaubenssätze angegriffen. Doch wer die Hoffnung hegte, dass die Linke sich endlich ihres traditionellen Schweigens über religiöse Themen entledigt, wurde enttäuscht. Die SPÖ will brav die Trennung von Staat und Religion bis in die Schulbücher wahren. Das ist lobenswert und naiv, denn Glaubenskämpfer wie der Nationalratspräsident Andreas Khol wollen zurück zum Supremat des Glaubens über das Wissen.

Das selbstverordnete Sprechverbot der Linken zu Fragen und Phänomene, die über das Zählbare und Zahlbare hinausgehen, ist in der aufkommenden Orientierungsdebatte eine unzumutbare Selbstbeschränkung. Nicht nur, weil sich langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass das Dogma des "freien Marktes" mehr mit dem Willen nach Herrschaft als dem Sehnen nach Wahrheit zu tun hat. Die Religion selbst ist zu wichtig, um sie der Rechten und den Kardinälen alleine zu überlassen. Schönborn und Khol lassen sich sogar zu einer Verballhornung des Begriffs "Dogma" hinreißen, wenn nur die Evolutionstheorie damit getroffen werden kann.

Die Sozialdemokratie wird um eine Antwort auf den weltweiten Trend zur Aufladung des Lebens mit Metaphysik nicht herumkommen. Die katholische Kirche von Schönborn und Benedikt XVI. will ihre Schäfchen brav, folgsam, keusch. Grundsätzlich, und hauptsächlich vor der Ehe, und unkritisch sowieso. Hier geht es um Besitzstandswahrung, nicht um den Glauben. Kämpfer Khol will seinen katholischen Gott in die österreichische Verfassung schreiben. Kardinal Schönborn verteidigte in der Diskussion um die Schulreform den Ausnahmestatus der katholischen Kirche. Altministrant Alfred Gusenbauer eilte ihm zu Hilfe und verpasste den Einstieg in den Diskurs.

In den Fragen der Gewaltlosigkeit bis zur Umverteilung des Reichtums und der sozialen Gerechtigkeit steht die Linke ebenso in der Nachfolge Jesu wie die Rechte, deren enge, moralinsaure, hegemoniale Auslegung von Kirche sich in ihrem Monopol sicher wähnt. Was die herrschende Generation an realem und symbolischem Besitz ihren Kindern übergibt, wird in diesen Jahren für lange Zeit entschieden. In Deutschland und Österreich herrscht Vorwahlzeit, die Positionen werden bezogen. Die Rechte scheint wieder einmal dank ihrer Themenführerschaft im metaphysischen Markt geschlossener als die mit vielen Zungen sprechende Linke. Franz Münteferings Kapitalismuskritik wurde als sinnlos und heuchlerisch verunglimpft, die Diskussion um die Wegweiserkompetenz können sich weder SPÖ noch SPD ersparen. Es ist reichlich thematischer Platz und Bedarf vorhanden.

Klare Worte

Kardinal Schönborn meldete sich nicht zur Jugendarbeitslosigkeit, zum neuen Asylgesetz, zum Sinken des Unternehmeranteils am Steueraufkommen, dem Austrocknen der öffentlichen Kassen und der Pensionsreform. Die Kanzel ist verwaist, viele Gläubige wollen klare Worte hören. In Österreich ist ohne praktizierende Katholiken keine Mehrheit zustande zu bringen, und mit der herrschenden politischen Ignoranz keine menschenwürdige Politik. Es muss ja nicht gleich wieder die Wanderklampfe im Presbyterium erklingen.

Anton Pelinka beschrieb, wie die SPÖ und ÖVP sich in einer Kontinentalverschiebung von links nach rechts bewegen. Bei unterschiedlicher Ausgangslage. Doch seit der Zeit der rhythmischen Messe unter Kardinal König finden fortschrittliche Christen bei der Linken kaum Platz und Gehör. Auch Katholiken denken sich ihren Teil, wenn immer mehr Menschen im Namen einer dogmatisch fixierten Pseudogerechtigkeit in die Armut gedrängt werden. Die Sozialdemokratie könnte in den Christen zahlreiche und glaubwürdige Partner gewinnen. Sie ist nicht in der Verfassung, Hilfe und Vertrauen abzulehnen. (DER STANDARD, Print, 18.8.2005)