Wilhelm Molterer: "Ich bin doch keine Marionette"

Foto: DER STANDARD/Heribert Corn
ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer will bei der nächsten Steuerreform den Spitzensteuersatz senken. Auch wenn die ÖVP Zweite wird, will sie regieren, sagte er Eva Linsinger und Barbara Tóth.

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STANDARD: Wolfgang Schüssel machte in einem "FAZ"-Interview Deutschland für die Arbeitslosigkeit in Österreich mitverantwortlich. Ist das nicht ein billiges Manöver?
Molterer: Der Punkt ist: Der Druck aus Deutschland auf den österreichischen Arbeitsmarkt ist gestiegen. Wir haben höchstes Interesse an einer guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, damit er sich wieder verringert. Das ist eine legitime Debatte, auch im deutschen Wahlkampf.

STANDARD: Es arbeiten mehr Österreicher in Deutschland als Deutsche in Österreich.
Molterer: Sie können die Fakten nicht ignorieren: Vor einigen Jahren arbeiteten 80.000 Österreicher in Deutschland, jetzt sind es knapp 60.000. Im selben Zeitraum waren 10.000 Deutsche in Österreich, jetzt sind es 48.000.

STANDARD: Wenn Sie Fakten einfordern: Schüssel sagte, dass es für Deutsche jetzt attraktiver sei, hier Arbeitslosengeld zu beziehen. Es sind aber mehr Österreicher in Deutschland arbeitslos als umgekehrt.
Molterer: Wenn Sie bei den Fakten bleiben, sagen Sie auch dazu, dass die Arbeitslosigkeit von Deutschen in Österreich um 50 Prozent gestiegen ist. Das freut uns nicht und darf uns nicht freuen.

STANDARD: Alle EU-Staaten außer Großbritannien und Skandinavien haben Arbeitsmarkt- Probleme. Ihr Schluss daraus?
Molterer: Überall dort, wo der Arbeitsmarkt deutlich flexibilisiert wurde, gab es einen Beschäftigungsschub. Daher ist der nächste Schritt überfällig: Wir brauchen flexiblere Arbeitszeiten, gestaltet auf betrieblicher Ebene.

STANDARD: IV-Präsident Veit Sorger will Arbeitslosen "mehr zumuten". Sie auch?
Molterer: Sorger legt schon den Finger auf eine Wunde. Ich bin mir nicht sicher, ob jeder Arbeitslose tatsächlich wieder einen Job will. Das ist aber eine Minderheit.

STANDARD: Sie wollen Nachfrage stimulieren. Dafür haben BZÖ und VP-Wirtschaftsflügel eine Idee: eine Steuerreform.
Molterer: Eine weitere Entlastung ist schon notwendig - aber in dieser Legislaturperiode sehe ich diesen Schritt sicher nicht. Eine Steuerreform kommt dann, wenn sie auch leistbar ist. Wir dürfen nicht in den Fehler der 70er-Jahre verfallen und die Schulden erhöhen. Eine neue Schuldenpolitik spielt es mit der ÖVP nicht. Manche meinen, das Budget ist ein Bankomat, der im Himmel gefüllt und auf Erden entnommen wird.

STANDARD: Meinen Sie mit "manche" Jörg Haider?
Molterer: Manche meinen das. Das Budget ist etwas, das man erarbeiten muss. Ich kann jetzt nicht etwas versprechen, was wir nicht halten können.

STANDARD: Schüssel plädiert für eine Art EU-Steuer. Wie soll die aussehen?
Molterer: Eine starke EU braucht solide eigene Finanzierung. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Kerosin ist der einzige Energieträger, der nicht besteuert ist. Die zweite Variante ist die Tobin Tax. Sowohl Steuer auf Flugbenzin als auch die Abgabe auf Transaktionen macht nur EU-weit Sinn. Wenn eine der beiden Varianten eingeführt wird, ließe sich die Finanzbasis der EU stärken. Eine eigene EU- Steuer ist aber beides nicht.

STANDARD: Ihre Schwesterpartei CDU will die Steuern radikal vereinfachen. Sie auch?
Molterer: Wir wollen im Bereich Leistungsträger und Mittelstand etwas machen. In Österreich zahlen 45 Prozent der Lohnsteuerpflichtigen keine Steuer - das heißt, 55 Prozent tragen 100 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuerlast. Da muss man die Verteilungsfrage stellen.

STANDARD: Sie wollen den Spitzensteuersatz senken? Dazu bräuchten Sie eine Verfassungsmehrheit, er ist an die Kapitalertragssteuer geknüpft.
Molterer: Daher bräuchten wir einen breiten Konsens. Ich weiß, dass diese Diskussion sehr heikel ist, weil aus der sozialen Balance vieles dafür spricht, den Spitzensteuersatz nicht anzurühren. Aber andererseits gibt es viele im Leistungsträgerbereich, die sagen: Warum nur wir? - Daher müssen wir im Bereich des Spitzensteuersatzes etwas tun. Wir können nicht auf immer weniger Leute immer größere Lasten verteilen. Die SPÖ wird das jetzt nicht wollen. Für uns ist das ein Thema für die nächsten Koalitionsverhandlungen.

STANDARD: Das BZÖ tönt, als wäre es für die ÖVP der logische Partner. Stimmt das?
Molterer: Jetzt kommt die Standardantwort: Die Wahl muss zuerst gewonnen werden. Um Koalitionsfragen beantworten zu können, sind für die ÖVP zwei Dinge relevant: Das Ziel ist, die Nummer eins zu bleiben. Zweitens müssen wir Optionen haben. Grundsätzlich sind Koalitionen mit dem BZÖ, mit den Grünen und mit der SPÖ möglich. Als ÖVP bin ich interessiert, dass im Parlament nach der Wahl vier Parteien sitzen - damit die ÖVP diese Optionen hat.

STANDARD: Als Zweiter gehen Sie in Opposition?
Molterer: Nein. In Österreich ist Gott sei Dank mit manchen lieb gewordenen Gewohnheiten seit 2000 Schluss. Natürlich hat der Erste Vorhand - um es in der Tarocksprache zu sagen -, es gibt aber keinen Automatismus.

STANDARD: Wäre es dann nicht fair, zu sagen, mit wem man koalieren will?
Molterer: Ich verstehe die Frage - sie ist aber nicht beantwortbar. Niemand kann die Konstellation voraussagen.

STANDARD: Also wählen ÖVP- Wähler die Katze im Sack.
Molterer: Das gilt für Grün- Wähler auch. Sie werden ein Argument haben, warum sie sich so verhalten. Die Grünen müssen meiner Meinung nach irgendwann eine Entscheidung treffen. Eine Partei braucht ein Profil - und das besteht aus Ecken und Kanten. Auch wir als ÖVP werden unser Profil nachschärfen. Die Bildungsdiskussion etwa ist eine ideologische Debatte, die ein klarer Unterschied zu einem links-grünen Profil ist.

STANDARD: Wie oft telefonieren Sie als VP-Mediensprecher mit ORF-Infochef Werner Mück?
Molterer: Erstens sage ich grundsätzlich nicht, mit wem ich telefoniere. Zweitens: so selten, dass Sie es gar nicht glauben würden.

STANDARD: Ein ORF-Politikredakteur schreibt nebenbei Werbetexte für das Unterrichtsministerium. Schiefe Optik?
Molterer: Der ORF muss das als Dienstgeber definieren.

STANDARD: Würden Sie einem Ihrer Mitarbeiter solche Nebentätigkeiten genehmigen?
Molterer: Ich habe ein klares Profil für die Mitarbeiter. Sie sind dem ÖVP-Klub verantwortlich.

STANDARD: Ist es sauber, wenn ein Kabinettschef Studien schreibt und die Industriellenvereinigung das bezahlt?
Molterer: Das ist eine Frage des Geldgebers: Ist das eine richtige Investition? - Also ich täte es nicht. Aber eine Regelung, die so etwas verbietet, gibt es nicht. Denn was wollen Sie hineinschreiben? Dass die IV keine Studien mehr vergeben kann? Da sind die eigenen Spielregeln vernünftiger. Es gibt etwa Arbeitsleihverträge. In machen Bereichen ist das notwendig.

STANDARD: Sie haben beides probiert: Minister und Klubobmann. Wo sitzen Sie nach der nächsten Wahl?
Molterer: Beide Funktionen sind herausfordernd. Es gibt einen einzigen Punkt, wo das Parlament offensiver sein soll: Europa. Das habe ich hier als Mangel empfunden. Spekulieren ist aber nicht mein Job.

STANDARD: Da, wo Sie Schüssel will, gehen Sie hin?
Molterer: Nein, das nicht. Ich bin doch keine Marionette.

WORDRAP

Wilhelm Molterer über ...

  • Bonzen: Abbau.

  • Heimlicher Personalchef der Republik: Kenne ich nicht. Der Klubobmann hat eine wichtige Rolle. Ich rede nicht darüber.

  • Herberstein: Ein schönes Schloss mit einem tollen Museum und einem wunderschönen Tierpark.

  • Homoehe: Kein erstrebenswertes Ziel. Aber Diskriminierungen sind zu beseitigen.

  • Kronprinz: Rudolf, Ferdinand. Karl. Einen Wilhelm hat es nie gegeben und wird es auch nicht geben. Ich bin kein Monarchist.

  • Leserbrief: Ein probates Mittel, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.

  • Rote Gfrieser: Lernfähigkeit. Ich glaube, Andreas Khol ist nicht glücklich über das, was er damals gesagt hat.

  • Schwäche: Mhm. Etwas mehr Konfliktfähigkeit wäre gut. Manchmal muss man auch streiten, ein Gewitter zulassen.

  • Sex and the City: Ehrlich gesagt fad. Ich bin doch nicht ein Fernsehtier. Was mir wirklich abgeht, und da muss ich ganz scharfe Kritik am ORF üben: Es gibt zu wenig Western. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.08.2005)