an könnte nach dem ungeheuerlichen Sager von Francesco Cossiga über die "Österreicher als Deutsche" einfach nur Mitleid für einen alten Mann empfinden und zur Tagesordnung übergehen. Das Problem ist nur: Der alte Mann bekleidet in einem Nachbarland das höchste Amt im Staat.

Niemand ist natürlich verpflichtet, Geschichte zu lernen oder einfach zu kennen, auch wenn man italienischer Präsident ist, aber die reine Unwahrheit als historisches Wissen zu verkünden ist einfach unhaltbar. Zunächst einmal ist es eine unglaubliche Beleidigung der österreichischen Antinazis und insbesondere der Südtiroler Widerstandskämpfer gegen Hitler, die es nicht verdient haben, von einem Geburtshelfer von Berlusconi derart behandelt zu werden. Man glaubte, nur noch die Haiders und die Deutschnationalen in Österreich und in Deutschland würden solche Ergüsse von sich geben. Irrtum: Einer, der für sein Land international Verantwortung trug, findet offensichtlich Gefallen daran, anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs vom NS-Regime, alt-deutschnationalen Blödsinn in der Hitler- Fassung zu verzapfen!

Die österreichische Nation ist keine Erfindung des Austrofaschismus. Ganz im Gegenteil. Dollfuss glaubte, die Österreicher seien die besseren Deutschen. Alles nachzulesen, wenn man es nur will, bei den Legitimisten der österreichischen Aktion vor der Dollfuss-Zeit, bei dem nach 1934 zwischen den Fronten kämpfenden volksmonarchistisch orientierten katholischen Republikaner Ernst Karl Winter und bei dem eurokommunistischen Denker Alfred Klahr.

Wie kann es sein, dass Herr Cossiga keine blasse Ahnung von der österreichischen Zeitgeschichte hat? Oder gehört er zu jener Spezies von Menschen in Europa, die gerne Österreich auf Hitler reduzieren? Wir Europäer und insbesondere wir Franzosen, verwechseln nicht Italien mit Mussolini und reduzieren nicht die heutige italienische Situation auf den Berlusconismus. Der ehemalige Präsident einer demokratischen Republik, die ähnlich wie Österreich nach der seinerzeitigen mutigen Formulierung von Altkanzler Franz Vranitzky, als "Antithese zum Faschismus" zu verstehen ist, beleidigt mit seinem Sager auch das eigene Land.

Ja, es gibt eine österreichische Nation, eine österreichische Musik, eine österreichische Literatur! Dem Präsidenten Italiens sei dringend die Lektüre der Bücher seines Landsmannes Claudio Magris empfohlen! (DER STANDARD, Printausgabe 20./21.8.2005)