Das Hotel La Gioia

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Das Tor zum Paradies kommt aus Ungarn. Gemacht hat es Bagol Karoly, der auch Grabkreuze und Zäune schmiedet. Vor dem Paradies wachen nicht die Kerubim und das lodernde Schwert, sondern mindestens 600 Kilometer auf italienischen Autobahnen und an die vier Kilometer auf einem staubigen Feldweg. Und wenn man nicht mehr glaubt, irgendwo anzukommen, steht es vor einem, das schmiedeeiserne Tor zum Paradies. Dahinter liegen vier Hektar Grund - Park, Wald, Garten, Pool, Fluss - und eine ehemalige Korn- und Ölmühle aus dem 17. Jahrhundert. Heute ist diese Mühle ein kleines, feines "Country House" ("kantri 'aus", die italienische Bezeichnung für etwas, was in keine gängige Kategorie passt) mit zwölf Zimmern, drei davon rollstuhlgerecht, das maximal 23 Personen Ruhe und Verwöhnung pur bietet. La Gioia heißt dieses Paradies die Adresse ist Colle del Marchese 60. Dieses Colle del Marchese ist ein Ortsteil von Castel Ritaldi und liegt zwischen Foligno und Spoleto, im Süden Umbriens. Nun wissen Sie zwar, wo das Paradies ist, dennoch sind die Anreisetipps von Daniel und Marianne Aerni unverzichtbar, um es auch wirklich zu finden. Rahmenbedingungen La Gioia, die Freude, ist die Verwirklichung des Traums eines Künstlers. Daniel Aerni war Regieassistent (auch am Burgtheater), Musiker (auch in Salzburg), hatte eine Bilderrahmenhandlung mit Galerie in Zürich. Aber er wusste immer, dass er "einen Ort der Begegnung schaffen will, dort, wo der Olivenbaum wächst." Seine Frau Marianne, Inhaberin eines Einrichtungshauses am Zürisee, war anfangs von der Idee nicht so ganz überzeugt. Nach fünf Jahren Suche fanden sie ihr Paradies in einem kleinen Seitental der Valle Umbra. Respekt vor dem Existierenden und Nachhaltigkeit sind den Hausherren wichtig. Heute ist die Mühle ein behutsam restauriertes Heim für Bewohner und Gäste, warm und willkommen heißend. Marianne Aerni hat die Zimmer mit den Decken aus behauenen Kastanienbalken im modernem Landhausstil großzügig, edel und mit einer Prise Humor eingerichtet. Üppige Blumensträuße in Zimmer und Bad und der Teller voll Obst geben einen Vorgeschmack auf die Abundantia Umbriens. Eine Freude ist auch die Lage des Landhauses: Gubbio, Perugia, Assisi, Spoleto und Orvieto sind in bequemer (Auto-)Reichweite. Von Spoleto nach Rom fährt man mit dem Zug nur 75 Minuten. Umbrien bietet viel mehr als die großen Sehenswürdigkeiten. Hier, im Schnittpunkt des Einflussbereichs zwischen Kaiser und Kirche, wo die antiken Römer ihre Latifundien hatten, finden sich in jedem Ort historische Kostbarkeiten. Die kleine Stadt Bevagna (2424 Einwohner) zum Beispiel bietet auf ihrem Hauptplatz drei romanische Kirchen (San Domenico, San Silvestro und San Michele), einen Kommunalpalast aus dem 13. Jahrhundert (Palazzo dei Consoli) mit Theater und eine römische Säule. Dass in den Kirchenfassaden römische Steine eingebaut wurden, versteht sich von selbst. Umbrien zeigt die Kontinuität von der Antike bis zum Mittelalter und sogar bis zur Renaissance. Die Region ist zurückhaltend, protzt nicht mit ihrem Reichtum. Und ist doch voll von Kostbarkeiten. Hier hat Franz von Assisi gelebt und gewirkt. Es ist die Heimat der heiligen Rita von Cascia, der Schutzpatronin der Hausfrauen und von Benedikt von Nursia, dem Gründer des Benediktiner-Ordens. Plinius der Jüngere hatte hier seine Ländereien, Theoderich residierte in Spoleto. In Foligno hat der deutsche Wanderdrucker Johann Neumeister mit dem Kupferstecher Emiliano Orfini um 1470 die allerersten 350 Exemplare von Dantes Divina Comedia gedruckt. Gut geölte Küche Umbrien ist auch Bauernland, es ist das grüne Herz Italiens. Hier finden sich noch Bauern, die Gemüse, Obst, Getreide, Oliven und Wein in erster Linie für den Eigenbedarf anbauen, die Wurstwaren von Norcia sind in ganz Italien berühmt und die Baci, die schokoladigen Küsse aus Perugia, haben die Welt erobert. Mit diesen Rohstoffen arbeitet Andrea Sabatini, der junge Koch in La Gioia. "Abondando d'olio", "ausreichend Olivenöl" und die besten Zutaten sind die Basis seiner viergängigen Abendmenüs. La Gioia bietet ja "nur" Halbpension - ein opulentes Büfettfrühstück und um 20 Uhr trifft man sich auf der von Gewürzkräutern umwachsenen Terrasse (oder im gemütlichen Salotto) und wartet, was die Küche an Überraschungen liefert. Ganz Neugierige können beim Apéro ab 18 Uhr lesen, was sie erwartet. Dienstag ist das Menü meist vegetarisch, am Freitag gibt's Fisch - zum Beispiel Zackenbarsch-Törtchen. Dazu serviert der Hausherr den passenden Wein aus seinem reichhaltigen Keller. Damit man den Geschmack von La Gioia nach Hause mitnehmen kann, verrät Andrea Sabatini Montag- und Donnerstagvormittag bei einem Kochkurs seine Geheimnisse, und der Laden von La Gioia liefert dazu Olivenöl, Marmeladen und die Tischwäsche. Die Sommer in Umbrien sind zwar heiß, aber trocken, und es weht eine kühlende Brise. Die Winter sind mild, Schnee kann zwar drei, vier Tage liegen und ein paar Wochen herrschen Minusgrade. Aber gerade zu der Zeit sind die Magneten wie Assisi nicht so überlaufen und La Gioia bietet nach dem Heimkommen die Wärme des Kamins und eine umfangreiche Bibliothek mit dem Taschenbuchprogramm des Diogenes-Verlags. Wer La Gioia, Umbrien und sich selbst das Kostbarste gibt, was der Mensch heute geben kann, nämlich Zeit und die Bereitschaft zur Muße, wird reich beschenkt zurückkehren und das beruhigende Wissen mitnehmen, dass der Schlüssel fürs Tor zum Paradies steckt, innen zwar, aber dass man durchgreifen kann, wenn man weiß, wie und wo. (Der Standard, Printausgabe 20./21.8.2005)