Im Mai 1934 bekam der Schriftsteller Hermann Broch Post aus Berlin. Eine junge Frau gab ihm zu verstehen, wie sehr ihr die Roman-Trilogie Die Schlafwandler gefallen hatte. Broch antwortete geschmeichelt und legte ein neues Gedicht bei. Wie sich bald herausstellte, war das Urteil von Ruth Norden nicht einfach das einer schwärmerischen Leserin. Sie arbeitete in Berlin als Assistentin von Peter Suhrkamp, der vor dem Krieg bei S. Fischer die Neue Rundschau herausgab. Die Verbindung, die sich ergab, bekam allerdings jäh einen anderen Kontext, als Ruth Norden noch 1934 nach New York emigrierte. Aus dem anfangs harmlosen Austausch von Höflichkeiten wurde schnell ein intensiver Briefwechsel, der umso interessanter ist, als Broch und Norden einander erst 1938 in den USA persönlich trafen. 1945 kehrte Ruth Norden zurück in das besetzte Berlin, während Broch in Princeton an der Massenwahntheorie saß und versuchte, seine "Ernte-Panik" niederzuhalten. Er hatte das Gefühl, nicht mehr ausreichend Lebenszeit zu haben für seine Schreibprojekte.

Die Transatlantische Korrespondenz, die Paul Michael Lützeler, der führende Broch-Experte, nun herausgegeben hat, besteht demnach aus zwei Teilen. Vor dem Krieg tauschen Broch und Norden zuerst einmal Bilder aus, nach dem Krieg schreiben sie einander als Liebespaar. Die Weltpolitik und das literarische Leben bilden den Horizont, denn Broch ist ständig involviert in Projekte des intellektuellen Engagements, während Ruth Norden nach 1945 in Berlin unmittelbar am Aufbau eines demokratischen Deutschland mitwirkt. Die Briefe zwischen 1934 und 1938 bilden in erster Linie eine Vorbereitung auf die persönliche Begegnung. Broch, der schon in den Dreißigerjahren über wenig Geld verfügte, setzt große Hoffnungen auf eine mögliche Verfilmung seines naturwissenschaftlichen Romans Die Unbekannte Größe durch das amerikanische Paramount-Studio.

Die Beziehung des niemals monogamen Broch zu Ruth Norden während der Kriegsjahre lässt sich aus den Briefen nach 1945 indirekt erschließen. Sie war auch eine der Adressatinnen der erschütternden Psychischen Selbstbiographie, die 1942/43 entstand (und 1999 von Paul Michael Lützeler veröffentlicht wurde). Der "alternde israelitische Herr" war Liebesverhältnissen gegenüber unrettbar ambivalent. Er dachte bei einer glücklichen Beziehung an einen "Dämmerzustand". In politischen Fragen gebrauchte er das analoge Bild: "Ich weiß, daß ich nicht der einzige bin, der wach ist; und ich weiß auch, wie weit ich von wirklicher Wachheit entfernt bin."

Mit einem geringen monatlichen Fixum ausgestattet, saß Broch 1946/47 in Princeton und versuchte zunehmend verzweifelt, mit einem "politischen Buch" voranzukommen. Außerdem engagierte er sich für eine großzügige Politik gegenüber dem besiegten Deutschland. Dazu unterschrieb er auch einen entsprechenden "Appeal", den Albert Einstein als "Tränenkampagne" ablehnte. Broch hingegen begriff, dass die Deutschen neue "Leitgestalten" brauchten. Auch wenn sich nach 1945 viele selbst ernannte Widerstandskämpfer zu erkennen gaben, gab es doch richtige "heldenhafte Märtyrer, und wenn Gördeler keiner von ihnen gewesen ist, so ist sicherlich Moltke, den ich wirklich gut gekannt habe, einer gewesen".

Ruth Norden ließ aus Berlin deutlich wissen, dass sie ihn vermisste. Er gab darauf kaum einmal eine direkte Antwort. "An und für sich leide ich natürlich gleichfalls unter der Trennung." Aber er ist vor allem mit den "Langsamkeitsorgien meiner Neurose" beschäftigt. "Du fragst nach der Analyse, und ob Du dabei eine Rolle spielst. Ja, was hast Du Dir denn sonst vorgestellt?" Seine Versagensangst formuliert er präzise aus: "Du hast den Anspruch auf ein richtiges, gesundes Frauenleben mit Kindern." In diese Vorstellung vermag er sich selbst nicht einzusetzen. Sein Leben kommt ihm vor, "als hätte ich durch Kartoffelbrei (wir sagen Erdäpfelpüree) zu schwimmen." Obwohl er "mit einer so grotesken Dauerjugend ausgestattet" ist, denkt er ständig an den Tod (den er sich als "positives Erlebnis oder Ersterbnis" wünscht).

Ruth Norden, von der nur einige wertvolle Briefe überliefert sind, antwortete mit genauen Beschreibungen aus dem zerstörten Berlin ("Everyone here suffers chiefly from the lack of shoes, there just aren't any."), mit offenen Schilderungen ihrer Gemütslage, und unerschütterlich in ihrem Beharren auf ihrer Beziehung. Von ihrer Konkurrentin Annemarie Meier-Graefe wusste sich nichts, auch nicht, nachdem sie 1948 nach New York zurückkehrte und das Verhältnis wieder aufnahm. Wovon Broch zunehmend manisch fantasiert hatte ("einmal wird sich ja doch der Tod dazuschlagen, und das wird peinlich sein"), trat 1951 ein: Er starb an einer Herzattacke. Ruth Norden hat ihn um ein Vierteljahrhundert überlebt, also ungefähr um die "eine Generation", die Broch als den unüberbrückbaren Unterschied begriff, hinter den er sich zurückzog, wann immer es sein "Verantwortungskonflikt" gebot. (DER STANDARD, Printausgabe vom 20./21.8.2005)