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Die Folgen des ethnischen Konflikts sind allgegenwärtig. Auf einer Plakatwand in Pristina sind die Namen von 2780 Menschen zu lesen, die seit dem Krieg im Jahr 1999 noch immer vermisst werden.

Foto: REUTERS/Hazir Reka
Die kosovarische Regierung ist von Kriminalität durchsetzt und die Gefahr neuerlicher Gewaltexzesse vor den Statusverhandlungen gegeben. Mit den Politologen Helmut Kramer und Vedran Dzihic sprach Adelheid Wölfl.

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STANDARD: Will die internationale Gemeinschaft mit der Klärung des Status aus dem Krisenherd Kosovo flüchten?
Kramer: Es kann sein, dass der Bericht des UN-Gesandten Kai Eide um ein paar Monate aufgeschoben wird und dass die Statusverhandlungen erst Ende 2005 oder Anfang 2006 beginnen. Aber es kann auch sein, dass mit dem Bericht eine Fluchtstrategie der internationalen Gemeinschaft abgesegnet wird. Das könnte zu einer Situation ähnlich wie in Afghanistan führen.
Dzihic: Bis vor zwei Monaten hat die kosovarische Regierung so getan, als ob sie etwas tun würde. Und gehofft, dass die internationale Gemeinschaft sagt: Ihr seid eh brav, ihr bekommt eh den Status. . Aber im Grunde gibt es keine Fortschritte bei der Rückkehr der Flüchtlinge und bei der Wirtschaftsentwicklung.

STANDARD: Sie kritisieren, dass die Statusfrage nicht früher geklärt wurde. Wann?
Kramer: Es gibt Experten, die sagen, dass man dies nach dem Sturz von Milosevic im Oktober 2000 machen hätte können und müssen.
Dzihic: Ich bin mir nicht sicher, ob es da ein Zeitfenster gab. Kurz nach dem Krieg ging es nicht. Dann kam Afghanistan und später der Irak. Die Ressourcen waren nicht mehr vorhanden. Und dann kam das " Standards before Status"-Konzept von Unmik-Chef Michael Steiner, eine reine Zeitkaufstrategie, die bis heute nicht gewirkt hat. De facto ist der Kosovo aber unabhängig. Das hat nichts mehr mit Serbien zu tun. Die Position Belgrads hat sich aber nach den Ausschreitungen im Frühjahr 2004, noch verschärft.

STANDARD: Ist die internationale Gemeinschaft gescheitert?
Kramer: Im Kosovo wurde seitens der UN zum ersten Mal der Versuch unternommen, eine durch Krieg und politische Repression zerstörte Gesellschaft politisch und wirtschaftlich aufzubauen. Man hat aber Leuten die Macht gegeben, die im Grund von den lokalen Verhältnissen und von der Basis keine Ahnung haben. Außerdem wurden Standards eingefordert, die in fast keinem Land der Welt jemals realisiert worden sind. Die Zivilgesellschaft wurde nicht einbezogen. Aber auch die USA haben kein Konzept. Sie glauben, dass sich die Situation, wenn sie einmal im Land sind, schon positiv entwickeln wird.

STANDARD: Ist die Europäisierung der Mission die Lösung?
Dzihic: Die EU hat auch keine gute Bilanz. Im wirtschaftlichen Bereich, für den die EU explizit verantwortlich ist, gibt es die wenigsten Erfolge. Die Arbeitslosenrate liegt bei 70 Prozent, bei den Jugendlichen schon bei 80 Prozent. Es gibt kaum ausländische Direktinvestitionen. Allerdings kann es für den Kosovo als Teil der Region nur eine europäische Perspektive geben.
Kramer: Die EU hat eine Art von Zeigefinger-Politik betrieben, die in Bosnien und im Kosovo nicht funktioniert hat. Nach dem Motto: Ihr müsst die Kriterien erfüllen, dann bleibt die Tür offen. Und nun zeigt sich, dass die Statusverhandlungen nicht zu der von den Kosovo-Albanern völlig illusorisch erträumten Unabhängigkeit führen werden, sondern dass es um eine "bedingte Unabhängigkeit" geht. Die EU muss nun die Bedingungen stellen, darauf ist sie aber nicht vorbereitet. Zudem war das Konzept von einer multiethnischen Gesellschaft falsch, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorhanden sind. Es wäre sinnvoller gewesen von einer Koexistenz der Ethnien zu sprechen.

STANDARD: Weshalb hat das Vertrauen zwischen Albanern und Serben abgenommen?
Kramer: Für die albanischen Kosovaren ist der historische Erfolg 1999 im Wesentlichen der Erfolg der UCK und von diesem gewalttätigen Politikmuster haben sie sich nie wirklich abgewandt. Die Gefahr einer Destabilisierung ist jetzt nicht gering. Die Vorstellung, dass die Unabhängigkeit nicht sofort kommt, wird sofort wieder mit Gewaltaktionen verbunden. Zudem ist die jetzige Regierung unglaublich schwach und in ganz bedrohlichem Maße von der organisierten Kriminalität durchdrungen. Sie regrediert eigentlich. Bislang konnte Ex-Premier Ramush Haradinaj Unruhen verhindern.

STANDARD: Kann das der jetzige Premier Bajram Kosumi auch?
Kramer: Er ist ein politischer Nobody. Die Legitimität der Führungsfiguren ist an die Zugehörigkeit zu den großen Familien gebunden.
Dzihic:Man ist auf die Unabhängigkeit ja gar nicht vorbereitet. Pristina weiß nicht, wie es im wirtschaftlichen und sozialen Bereich weitergehen soll. In Belgrad ist der Verhandlungsspielraum größer. Wenn man mit einer sehr konsequenten und gut überlegten EU-Strategie politischen Druck auf die serbischen Eliten ausübt, könnte man den Konsens und Zugeständnisse in der Kosovo-Frage abkaufen.

STANDARD: Erwarten Sie sich etwas von der EU-Präsidentschaft Österreichs 2006 für eine Lösung im Kosovo?
Kramer: Die österreichische Ratspräsidentschaft wird auf die Krise der EU reagieren. Dies könnte dann zu einer Art Rückzug von einer aktiven Balkan-Politik führen.
Dzihic: Ob die österreichische Außenpolitik was tun will oder nicht, es wird etwas getan werden müssen. Die Trennung von Serbien und Montenegro und der Kosovo stehen 2006 auf der Tagesordnung.

(DER STANDARD, Printausgabe, 22.08.2005)