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Verfassungshüter Korinek: "Man kann nicht einfach Kameras aufstellen, Daten austauschen, nur weil es möglicherweise der Terrorismus­bekämpfung dient. Damit allein kann man keine verstärkte Überwachung begründen."

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Standard: Herr Präsident, wenn Sie dieser Tage am Schwedenplatz ein Eis essen gehen, sind Sie sich dessen bewusst, dass die Polizei längst wissen könnte, was Ihre Lieblingseissorte ist?

Korinek: Ich nehme nicht an, dass die das interessieren würde. Aber es ist richtig, dass man bei diesen Überwachungen unglaublich aufpassen muss, dass man nicht in den Kernbereich des Schutzes der Privatsphäre hineintrifft.

Standard:Wie geht es Ihnen mit der zunehmenden staatlichen Überwachung?

Korinek: Die Grundrechte haben einen ganz hohen Stellenwert. Und jede derartige Überwachung tangiert natürlich die Grundrechte. Es gibt sicher Bedrohungen, auf die die Sicherheitsverwaltung reagieren muss. Daher ist es legitim, dass man Methoden findet, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Nur muss jede einzelne dieser Methoden überprüft werden darauf, ob sie erforderlich ist zum Zweck der öffentlichen Sicherheit. Man kann nicht einfach Kameras aufstellen, Daten austauschen, nur weil es möglicherweise der Terrorismusbekämpfung dient. Mit dem Argument Terrorismus allein kann man keine verstärkte Überwachung begründen.

Standard:In dem Zusammenhang drohen dem VfGH wohl noch einige Verfahren.

Korinek: Ein lückenloser Grundrechtsschutz ohne jede Verletzung wird nie gelingen. Dazu gibt es ja die Gerichte, um das zu überprüfen.

Standard:Aber immer nur im Nachhinein.

Korinek: Das ist aber bei allen Grundrechtsverletzungen so. Nur man kann schon davon ausgehen, dass im Prinzip eine Entscheidung auch insofern weiterwirkt, dass man sich im Allgemeinen an die Aussagen des Gerichtshofes hält, nicht nur im Konkreten.

Standard:Sollte eine Regierung, die der Bevölkerung schärfere Fahndungsmethoden zumutet, nicht mehr an "Selbstüberwachung" zulassen? Stichwort: Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle.

Korinek: Die Kontrollrechte des Parlaments wurden durch Ausgliederungen eingeschränkt. Nur muss man sagen: Diese Ausgliederungen gehen alle auf Beschlüsse des Nationalrates zurück. Und sehr viele davon waren einstimmig. Es ist also nicht so, dass die Regierung ausgliedert und dem Nationalrat Kontrollrechte nimmt, sondern der beschließt die Ausgliederung und nimmt sich damit selbst Kontrollrechte weg.

Standard:Ausgliederung ist gleich Kontrollverlust?

Korinek: Das Problem ist, wenn ich ausgliedere, bin ich als Minister nicht mehr für das, was der Ausgegliederte tut, verantwortlich, weil ich keine Weisungen geben darf. Und wenn ich nicht verantwortlich bin, kann ich auch nicht verantwortlich dem Parlament gegenüber sein.

Standard:Die Kritik der Opposition, dass Ministeranfragen meist ungenügend beantwortet werden, trifft also nicht zu?

Korinek: Die Kritik trifft voll zu. Nur, sie richtet sich gegen Gesetze, die die Opposition zum großen Teil mitbeschlossen hat.

Standard:Wie können ausgegliederte Rechtsträger trotz fehlender politischer Weisungsbefugnis vom Parlament kontrolliert werden?

Korinek: Dazu müsste man die Verfassung ändern. Es könnte eine Kombination aus Berichtspflichten und Resolutionsmöglichkeiten des Parlaments geben. Plus einem ständigen Ausschuss, der die Geschäftsführer der ausgegliederten Unternehmen befragt.

Standard:Die parlamentarische Kontrolle war auch im Verfassungskonvent Thema. Geht da etwas weiter?

Korinek: Ich weiß es wirklich nicht. Diese Frage ist erst nach den nächsten Nationalratswahlen seriös zu beantworten. Ich glaube, dass in einer Konfrontationssituation im Parlament eine große Verfassungsreform keine Chance hat.

Standard:Auch die Unis wurden ausgegliedert, erklärt uns Bildungsministerin Elisabeth Gehrer beinahe täglich. Wurden alle Möglichkeiten genutzt, das EuGH-Urteil abzuwenden?

Korinek: Ich halte das Urteil für höchst problematisch. Die Richter haben überhaupt nicht reflektiert, dass das im Ergebnis die Subventionierung des deutschen Bildungssystems durch den österreichischen Steuerzahler ist. Das Urteil ist auch aktenwidrig. Weil in dem Vorbringen - auch in der mündlichen Verhandlung - die Bundesregierung auf diese finanziellen Umstände hingewiesen hat. Und im Urteil steht drinnen, Österreich hat finanzielle Bedenken nicht geäußert. Ich glaube nicht, dass die Österreicher in dem Verfahren etwas falsch gemacht haben. Man hätte natürlich schon während des Verfahrens versuchen können, das Herkunftslandprinzip zu ändern.

Standard:Kann es jetzt noch eine Urteilsänderung geben?

Korinek: Wenn, dann nur über die Änderung des EU-Rechtes. Und das wäre sicher viel einfacher gewesen, wenn man diese Debatte noch vor der Urteilsverkündung in Gang gesetzt hätte. Das kann man schon als Versäumnis werten. Ich habe aber Respekt davor, dass eine Regierung sagt, bevor ich Rechtsänderungen verlange, warte ich erst auf die Entscheidung des Gerichtes.

Standard:Wie hätte man argumentieren müssen?

Korinek: Man hätte sagen müssen: Unter der Annahme, dass der EuGH gegen Österreich entscheidet, will ich die Richtlinie geändert haben.

Standard:Aber man hätte den Unis schon vor dem Urteil die Möglichkeit für Zulassungsbeschränkungen geben können.

Korinek: Rein juristisch ja. Aber mit der Konsequenz, dass man den Zugang auch für Österreicher erschwert hätte. Ich habe Verständnis dafür, dass man das nicht wollte.

Standard:So ist es aber jetzt de facto doch auch.

Korinek: Die derzeitigen Zugangsbeschränkungen sind aber sicher nur Notmaßnahmen für einzelne Bereiche. Eine Lösung geht nur über das Gemeinschaftsrecht.

Standard:Wäre eine solche Ausnahmeregelung nicht ungewöhnlich?

Korinek: Normalerweise gibt es das nur während der Beitrittsverhandlungen. Damals hat man es nicht getan, konnte aber die Entwicklung auch nicht absehen. Die Ausnahmeregelung ist aber nicht die einzige Möglichkeit. Man könnte auch ganz generell sagen, der Universitätszugang soll sich nach dem Staat richten, aus dem der Betroffene kommt. Das wäre eine völlig saubere Lösung.

Standard:Ist es realistisch, dass der EuGH noch zu dieser Ansicht kommt?

Korinek: Ein Gericht ist sehr selten dazu bereit, eine Judikatur zu ändern, weil man ihm Konsequenzen vorhält, die er hätte bedenken müssen. Ich denke, der Weg über das Herkunftslandprinzip wäre sicher der erfolgversprechendere.

Standard:Ist es legitim, ein Gesetz rückwirkend in Kraft zu setzen, wie bei den Zugangsbeschränkungen geschehen?

Korinek: Da ist die Judikatur streng. Wenn sich die Bürger im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage rechtmäßig verhalten haben, darf man die nicht so ändern, dass das Vertrauen verletzt wird. Ein absolutes Rückwirkungsverbot gibt es aber nicht.

Standard:Wer jetzt maturiert hat und mit einem der nun beschränkten Studien beginnen wollte, hat bestimmt darauf vertraut, dass Noten auch kein Teilkriterium bei der Zulassung sind.

Korinek: Da spricht sehr viel dafür.

Wordrap

Oper: Ist meine größte Leidenschaft. Ich habe das Glück, in einer Stadt zu wohnen, wo ich dieser Leidenschaft nachgehen kann.

Homo-Rechte: Das ist eine sehr wertbehaftete Frage und daher auch eine sehr wertbehaftete Diskussion. Das ist nicht generell lösbar, sondern von Fall zu Fall sehr spezifisch zu betrachten. Die Adoption durch zwei Personen des gleichen Geschlechtes ist sicher völlig anders zu sehen als der Eintritt ins Mietrecht.

Anekdoten: Das ist eine große Liebe von mir, weil ich glaube, dass man mit G'schichterln oft vieles besser sagen kann, als mit dem erhobenen Zeigefinger.

Gerechtigkeit: Ein Ziel, das man nicht aus dem Auge verlieren darf. Man muss es nur immer wieder hinterfragen, ob man nicht subjektive Gefühle in die objektive Gerechtigkeit hineininterpretiert. Es gibt aber auch generelle Werte der Gerechtigkeit wie die Menschenwürde.

Schütze: Angeblich sehr freiheitsliebend und sehr offen in seinen Aussagen. Ich hoffe, dass ich so bin.

Verfassung: Muss die Basis für eine funktionierende Konkurrenzdemokratie sein. Man muss eine Basis haben, um unterschiedliche Vorstellungen zu diskutieren. Unsere Verfassung ist an sich eine bewährte Verfassung, sie bedarf aber sicher der Bereinigung und Modernisierung.

(DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2005)