Von Tag zu Tag taute der Professor auf dem Papstthron freilich immer mehr auf. Hatten seine Reden auf dem Schiff noch eher formelhaft geklungen, war er bei den Gottesdiensten auf dem Marienfeld beeindruckend und überzeugend. Die samstägliche Botschaft von der Pilgerschaft der Heiligen Drei Könige, die ihrem Stern folgten und ein Arme-Leute-Kind im Stall fanden, kam an, die sonntägliche hochtheologische Erörterung der Transsubstantiationslehre ging wohl an der Mehrheit der Teilnehmer vorbei. Sie wachten erst wieder auf, als der Papst sie zum Engagement für die Leidenden aufrief.
Für das Volk der Reformation war die opulente Inszenierung von Köln wohl geradezu exotisch katholisch. Weihrauch und Latein, eucharistische Prozession und Marienandacht - all das ist den allermeisten Deutschen, vor allem den Jungen, heute so fremd wie die Tempeltänze der Hindus oder die Opferrituale der Indianer. Sie sind, wenn es um Kirche geht, eher an schwarz gekleidete Herren gewöhnt, die in Gremien sitzen, gemäßigt-wohlmeinende Statements abgeben und allenfalls bedeutungsschwer über "Spiritualität" reden, von der niemand so recht weiß, was das sein soll. Langweilig ist das Ganze auf jeden Fall. Und das einzige, was die breite Öffentlichkeit erreicht, ist die tatsächlich unmögliche kirchliche Position zu Frauen und Sexualität.
Der Kölner Weltjugendtag bot ein Kontrastprogramm zu diesem "Gremienkatholizismus". Der neue Papst liebt den Reichtum der Liturgie, die Verehrung der Heiligen, er hat auch eine Ader für die Geschichte der Kirche, Deutschlands und Europas, die er immer wieder anklingen ließ - alles Dinge, die man sonst in Deutschland selten hört. Vor allem aber versuchte er deutlich zu machen, dass Religion und Kirche das "ganz andere" repräsentieren, das mit konventionellen Mitteln nicht zu fassen ist. Die deutschen TV-Reporter waren denn auch bei ihren Umfragen bei den Jugendlichen ziemlich ratlos. Ratlos, aber angetan.
Nicht, dass dieser Weltjugendtag die Haltung der Deutschen zur katholischen Kirche wesentlich verändern wird. Aber er hat darauf hingewiesen, was nach wie vor die Stärken dieser Kirche sind: die Schönheit ihrer Riten (die im ORF leider immer "zugeredet" werden), die tiefe Verwurzelung in der Geschichte, das unverbrüchliche Eintreten für die Armen, die Internationalität. Einheit in der Vielfalt - selten ist diese sympathische Variante der Globalisierung so deutlich geworden wie bei diesem Jugendtreffen, bei dem unbefangen nationale Fahnen geschwungen wurden und gleichzeitig jeder mit jedem Sitzmatte und Wasserflasche teilte.