So unbekannt diese thematisch an den Tannhäuser und musikalisch vor allem im Vorspiel an den Lohengrin des anderen Richard erinnernde leidenschaftliche dreiaktige Ballade von einem die Freiheit und die Gemahlin eines Herzogs liebenden Minnesänger gemeinhin auch ist, so vertraut ist sie Gustav Kuhn. Schon 1998 führte er das Werk anlässlich der Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkirchen auf, halbszenisch, und im Februar 2005 ließ er in Catania eine szenische Produktion nachfolgen.
Motorrad und Gitarre
In ebenso löblicher wie unbegründeter Bescheidenheit wurde das freitägige Guntram-Unternehmen als "konzertant" ausgewiesen, obwohl es, wie sich im Verlauf der Aufführung herausstellte, an szenischer Dichte der Elektra des Vorabends nicht nachstand. Nicht nur sang ein jeder der Solisten seinen Part auswendig - es wurde durch ganz wenige szenische Versatzstücke und ebenso knappe, dafür aber beinah explosiv eindrückliche Aktionen die inhaltliche Essenz des Geschehens, nämlich das Scheitern von Recht und Gefühl an den Riffen der Macht, mühelos nachvollziehbar. Nicht zuletzt durch die Kostüme, die die Mächtigen als recht zeitnah wirkende deutsche Jagdgesellschaft vorführten, an der Guntram, die mit Motorrad und Gitarre bewehrte Titelgestalt, freilich scheitern musste.
Nicht nur die Gesellschaft ist es, an der Richard Strauss als Schwulst liebender Librettist seinen Minnesänger scheitern lässt, auch die Noten, die er dessen Interpreten (1894 überwiegend während einer Ägyptenreise) zum Singen hingeschrieben hat, rücken ein Nichtscheitern beinah in den Bereich des Unmöglichen. Gilt die Partie des Guntram doch (nach dem Tristan) als die zweitschwierigste Tenorpartie des Opernfachs. Das Ausmaß, in dem der italienische Tenor Gianluca Zampieri nicht nur nicht gescheitert ist, sondern mit strahlender Bravour triumphierte, machte die Begegnung mit diesem leidenschaftlichen Prototyp aus der Strauss'schen Opernmanufaktur zur reinen Freude.
Musiker aus Minsk
Ermöglicht wurde dieser Erfolg freilich nur durch die fast an Zauberei grenzende Meisterschaft, mit der Gustav Kuhn das im Hintergrund auf einer bis an die Decke reichenden Schräge postierte Orchester dynamisch zu zügeln verstand. In seiner Instrumentierung machte Strauss damals zwischen seinen vorangegangenen symphonischen Dichtungen und seinem Opernerstling nämlich noch wenig Unterschiede. Trotzdem gelang Kuhn ein maßgeschneidertes Klangkostüm, in dem die vokalen Linien und die orchestralen Affekte optimal harmonisiert waren. Dies nicht nur dank seines zu einem beträchtlichen Teil mit Musikern aus Minsk besetzten Orchesters, sondern auch einer Sängerriege, aus der besonders die Baritonstimmen von Andrea Martin und Thomas Gazheli hervorstachen.
Dass sich diese bewundernswerte Mischung aus Orchesterklang und Stimmen abends zuvor in der Elektra nicht ganz in der gleichen berauschenden Perfektion einstellen wollte, mochte an einem zwischen Bühne und Orchesterhintergrund eingezogenen Schleiervorhang gelegen sein, der die spontane Wucht des Instrumentalklanges möglicherweise zu sehr dämpfte, sodass die Stimmen der Solisten mitunter wie a cappella vor einer Art von Hintergrundmusik bar der gewohnten Harmonie- und Klangfarbenfolie erklangen. Umstände, die an die Sänger erhöhte Anforderungen stellen, denen sie auf imponierende Weise genügten. Mit der souveränen baritonalen Ruhe eines Franz Hawlata als dominierender Orest konnten vor allem Elisabeth-Maria Wachutkas Chrysothemis und die Martina Tomcic als Klytämnestra mithalten. Und selbstverständlich auch Cynthia Makris in der Titelpartie, vor allem im beklemmend aussagekräftig geglückten Finale.