Apokalyptische Ideen haben es an sich, dass sie aus der Realität geboren und irgendwann von der Realität auch wieder gestreift werden. Der britisch angehauchte Terrorstaat mit seinem alles dominierenden "Informationsministerium" aus dem Film "Brazil" Mitte der 80er-Jahre war so eine Apokalypse. Die regelrechte Hinrichtung des jungen Brasilianers Jean Charles de Menezes in der Londoner U-Bahn durch sieben Schüsse in den Hinterkopf, abgefeuert von einem Einsatzkommando in Zivil, steht für die fürchterliche Wirklichkeit.

Im Film machte ein Tippfehler im "Informationsministerium" aus dem Namen des Regimerebellen "Tuttle" den unschuldigen Familienvater "Buttle", den ein Kommando am Weihnachtsabend abholt und der den Foltertod stirbt. Im London am Tag nach der zweiten Bombenserie trifft es den Elektriker Menezes, der sich - eine Zeitung unter dem Arm - auf dem Weg zur Arbeit macht und der als vermeintlicher Selbstmordattentäter endet. Der britische Staat wollte weiteres Unheil von seinen Bürgern abwenden - das ist natürlich der Unterschied zur totalitären Apokalypse von "Brazil". Doch selten noch hat sich die totalitäre Versuchung des Staates an den Bürgerrechten im Antiterrorkrieg auf so tragische Weise in einer Person konzentriert wie im Fall Menezes.

Der britischen Polizei sind zwei große Fehler vorzuwerfen: verhängnisvolle Pannen bei der Beschattung ihres Opfers Menezes und der zweifelhafte Umgang mit der Wahrheit über die Erschießung des Brasilianers gegenüber der Öffentlichkeit. Beide Fehler werden von den Behörden untersucht, und man darf der britischen Demokratie so viel zutrauen, dass am Ende dieser Untersuchungen auch ein seriöser Befund steht. Jean Charles de Menezes wird dies jedoch nicht mehr lebendig machen. Mehr noch: Nichts lässt erkennen, dass die Polizeibeamten beim nächsten Antiterroreinsatz nicht wieder so versagen. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.08.2005)