Foto: Andy Urban
Die Zahl von Anzeigen, die von psychisch Kranken oder vermeintlichen Justizopfern stammen, steigt. Geprüft werden muss trotzdem jede einzelne.

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Wien - "Doch, manchmal denke ich darüber nach, wenn einer plötzlich nicht mehr schreibt", überlegt Staatsanwalt Gerhard Jarosch. Zwei Jahre lang hat der Jurist die NSt-Abteilung bei der Wiener Anklagebehörde betreut, zwei Jahre lang hatte er es dabei auch mit psychisch Kranken, Verschwörungstheoretikern und vermeintlichen Justizopfern zu tun gehabt.

NSt steht für "Nicht Strafsachen", darunter fallen Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland, die ein Richter entscheiden muss, ebenso wie Anzeigen, die nicht zuordenbar sind oder wo der strafrechtliche Gehalt nicht gleich ersichtlich ist. Etwa, weil es sich um mehrseitige, mit Feder geschriebene Faxe in einem Code handelt (siehe Foto).

"Der Betreffende hat jahrelang diese Schreiben an uns geschickt, aber nie einen konkreten Vorwurf erhoben", erinnert sich Jarosch. Irgendwann kam dann statt den codierten Nachrichten einmal eine Mahnung, der Mann wollte insgesamt fünf Millionen Euro für seine "Anzeigen" erstattet bekommen. Als auch die zweite Mahnung ignoriert wurde, blieb das Faxgerät still.

1350 Akten hatte die NSt-Stelle im Vorjahr zu bearbeiten, heuer waren es bis Anfang August schon 1300 Stück. Von einem Staatsanwalt muss jede einlangende Anzeige geprüft werden, auch wenn sie auf Klopapier geschrieben ist oder nur aus kopierten Zeitungsartikeln besteht. Derzeit verwendet Jaroschs Nachfolgerin ein Viertel ihrer Dienstzeit mit der Aufarbeitung, bald wird das zu wenig sein. Denn "die Freude, mit der Leute zur Justiz gehen, steigt grundsätzlich", glaubt Jarosch, auch "das Obrigkeitsdenken lässt Gott sei Dank nach". Die Kehrseite: Neben offenbar Verwirrten gibt es eine zweite Gruppe, die die NSt-Abteilung beschäftigt - Unterlegene in Zivilrechtsprozessen.

"Es gibt Leute, die nicht akzeptieren können, dass sie einen Rechtsstreit mit dem Nachbarn verloren haben. Sie beginnen dann, Richter und ihre eigenen Anwälte anzuzeigen." Dabei würden sie auch eine hohe Kompetenz entwickeln, einer habe sogar Jus zu studieren begonnen, rekapituliert Jarosch.

Angst hat er keine, auch wenn er sich an den Amoklauf eines Pensionisten am Bezirksgericht Linz-Urfahr vor zehn Jahren erinnert, bei dem fünf Menschen starben. Sein Umgang mit den Anzeigern ist "komplett gemischt: Die einen tun mir Leid, die anderen gehen mir manchmal maßlos auf die Nerven". Und bei ersterer Gruppe macht er sich dann seine Gedanken, wenn sie nicht mehr schreiben. (Michael Möseneder, DER STANDARD - Printausgabe, 22. August 2005)