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Seit September 2004 gab es mehr als 800 Morde, etwa 500 Personen wurden allein heuer entführt. Die Polizei wird der Gewalt nicht Herr.

Foto: Reuters/Logan Abassi
In Haiti reißt wenige Monate vor den ersten Präsidentschaftswahlen seit dem Sturz von Staatschef Jean-Bertrand Aristide trotz UNO-Präsenz die Entführungs- und Gewaltwelle nicht ab – jüngstes Opfer war am vergangenen Freitag ein kanadischer Hilfsarbeiter.

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Wien/Port-au-Prince - Die Hauptstadt Haitis, Port-au- Prince, früher eine der reichsten Städte des französischen Kolonialreichs, erinnert in letzter Zeit eher an Bagdad als an eine florierende Karibikmetropole. Bewaffnete Gruppen terrorisieren die Einwohner, Entführungen gehören zum Alltag. Vergangenen Freitag wurde ein kanadischer Hilfsarbeiter ermordet, weil er sich gegen seine Entführer wehrte.

Anfang Juli wurde der bekannte Journalist, Jacques Roche gekidnappt, gefoltert und später erschossen. Seit September 2004 gab es mehr als 800 Morde, etwa 500 Personen wurden allein heuer entführt. Opfer sind oft Unbeteiligte, die sich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort befinden.

Übergangsregierung hat die Kontrolle weitgehend verloren

Achtzehn Monate nachdem Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide wegen eines bewaffneten Aufstands und durch Druck aus Washington und Paris ins Exil nach Südafrika floh, wird das Land von der 8000 Mann starken UNO Mission Minustah vor Anarchie bewahrt. Die Übergangsregierung hat weit gehend die Kontrolle über die ausufernde Kriminalität verloren.

Drogenschaltstelle

Pro-Aristide-Banden bekämpfen die Gegner des gestürzten Präsidenten in den Slums der Hauptstadt. Ihr Ziel ist neben der politischen Macht auch die Kontrolle über den lukrativen Drogenhandel zu erhalten. Haiti ist mittlerweile eine der Hauptschaltstellen für Drogen auf dem Weg in die USA geworden. Eine seit Jahrzehnten anhaltende wirtschaftliche und politische Krise hat zudem zu einer Arbeitslosigkeit von über 70 Prozent geführt. Mehr als drei Viertel der Einwohner leben unter der Armutsgrenze.

Keine Wahlprogramme

Viele Beobachter bezweifeln, dass die für November angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Stabilität bringen können. Die haitianische Wahlkommission hat die Registrierungsphase um fünf Wochen, bis zum 15. September, verlängert, da sich nur ein Viertel der Wahlberechtigten bisher für die Wahlen angemeldet hatten. "Die vielen Parteien weisen noch keine wirklichen Programme vor, und die Öffentlichkeit hat kaum Ahnung wodurch sich die Parteien unterscheiden", sagt Haiti-Experte Mark Schneider, Vize- Präsident der International Crisis Group im Gespräch mit dem STANDARD skeptisch.

Lavalas, die Partei von Aristide, hat sich auch angemeldet. Sie behauptet von der Übergangsregierung regelmäßig schikaniert zu werden. Der ehemalige Premierminister von der Lavalas, Yvon Neptune, sitzt seit mehr als einem Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft, und der vermutliche Spitzenkandidat bei den kommenden Wahlen, der Priester Gerard Jean-Juste, wurde laut Amnesty International unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet.

Die UNO-Truppen gehen mittlerweile aggressiver gegen die Banden vor. Dies hat in den letzten Wochen, Beobachtern zufolge, auch zu einer spürbaren Beruhigung der Sicherheitslage beigetragen. Doch das Mandat der UNO- Truppen endet im Februar 2006. Entscheidend ist, ob die internationale Gemeinschaft bereit ist, es zu verlängern, um auch nach den Wahlen genügend Sicherheitskräfte bereitzustellen, die den Übergang zur Demokratie überwachen.

"Die UNO darf Haiti nicht verlassen, bis Rechtsstaatlichkeit und ein funktionierendes Justizsystem geschaffen wurden", sagt Schneider. (DER STANDARD, Printausgabe 23. 8. 2005)