Während man in Österreich noch über eine Senkung des Spitzensteuersatzes nachdenkt, geht der deutsche Steuerguru Paul Kirchhof bereits einige Schritte weiter: Er will das Steuersystem gleich völlig neu erfinden und radikal vereinfachen. Das gefällt Kanzlerkandidatin Angela Merkel, also hat sie den ehemaligen Verfassungsrichter als Trumpf-Ass in ihr Wahlkampfteam aufgenommen.

Mittlerweile steckt Merkel jedoch in der Zwickmühle: Einerseits möchte sie den Deutschen eine Vision, wie Kirchhof sie vertritt, bieten. Schließlich propagiert Merkel seit Monaten, Deutschland brauche einen großen Wurf, um wirtschaftlich endlich wieder auf die Beine zu kommen.

Andererseits fürchtet sie, mit allzu großen Sprüngen auch viele Wählerinnen und Wähler zu verschrecken. Denn die Kehrseite der Kirchhofschen Steuersenkungen ist die Abschaffung der 418 Steuersubventionen und Ausnahmen. Rechnet nun einer, der täglich seine 100 Kilometer zur Arbeit fährt, nach und bemerkt, dass er ohne Pendlerpauschale in Kirchhofs Modell zu den Verlierern gehört, könnte ihn das davon abhalten, die CDU zu wählen. Gleiches gilt für Menschen, die ihr Einkommen durch Nacht- oder Sonntagsarbeit aufbessern.

Auch anderswo passen Kirchhof und Merkel nicht ganz so gut zusammen, wie sie glauben machen möchten: Dem Professor missfällt die von der Union angepeilte Erhöhung der Mehrwertsteuer. Außerdem will er nicht so eisern sparen und nennt Merkels Ziel, 2009 wieder einen Maastricht-konformen Haushalt vorzulegen, "ehrgeizig".

Aber möglicherweise ist Kirchhof ohnehin nur der Jost Stollmann der CDU. Der parteilose Multimillionär sollte 1998 dem ersten Kabinett Schröder als Wirtschaftsminister zu Glanz verhelfen. Doch er kam mit den SPD-Genossen nicht klar und sprang ab, noch ehe Schröder sein erstes Kabinett gebildet hatte. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.8.2005)