Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war Sonntagmorgen. Ziemlich früh. Und ob da jetzt wirklich jemand Volleyball gespielt hat, kann ich nicht sagen. Aber die Vorstellung, dass das Kabel, das da quer zwischen den Buden gespannt war, die Striche am Boden und der kaputte Plastikball im Eck Teil einer nächtlichen Umfunktionierung des öffentlichen Raumes waren, ist sympathisch. Und deshalb glaube ich daran, dass in Wien ein Trupp Menschen herumläuft, der sich der alternativen Nutzung diverser Stadtmöbel widmet.

Das Kabel hing am Naschmarkt. Zwischen zwei Marktständen, ein kleines Stückerl stadteinwärts der beiden Bobo-Glaskobel-Kaffehäuser. In etwas mehr als zwei Metern Höhe hing es quer über den Weg ­ und als wir da entlang trabten, mussten natürlich sowohl mein Laufbuddy als auch ich springen. Ohne Absprache – ein Doppelblock. Wie früher. Dass wir da wohl nicht die ersten Hüpfer gewesen waren, sahen wir noch in der Luft: Mit etwas schmierig-dreckigem (was es genau war wollten wir nicht wissen – vermutlich biologisch abbaubare Überbleibsel vom Samstag) war ein Spielfeld angezeichnet. Nicht ganz neun mal neun Meter, aber doch eindeutig ziemlich gleich groß.

Stolperstrickphobie

(Normalerweise gehöre ich ja zu den Menschen, die quer über Wege gespannte Schnüre nicht besonders sexy finden. Seit ich im Favoritner Ziegelteichbuschland einmal mit dem Rad in eine ­ wie sich später herausstellte von mir selbst aufgespannte ­ Falle gefahren bin und mich selbst fast stranguliert habe, fehlt mir dafür der Humor. Obwohl das in diversen Motorradgangfilmen immer wahnsinnig cool ausschaut. Sowohl die Biker-Enthauptung als auch das gekonnte Unten-durch-Rutschen des Gangchefs. Geschenkt.)

Mein Mitläufer sah dann den Ball: Ein bunter Kinderball aus Plastik. So groß wie eine Bowlingkugel. Bedruckt mit antiken Comicmotiven: Dumbo, der fliegende Elefant lachte uns an. Bevor uns die Retro-Keule streifen konnte, hatte mein Buddy den Ball schon in der Luft und wollte über das Kabel spielen – aber leider: Der Ball hatte ein klaffendes Loch. Ein halber Dumbo flappte – mit dem Ohr – auf und zu. Und zwar entlang einer sehr geraden Linie – so als hätte da jemand sein Messer ausprobiert. Wir liefen weiter.

Volleyballphantasie

Unterwegs entwickelten wir dann das Bild eines nächtlichen Volleyballmatches mitten am Markt. Vermutlich eher im Morgengrauen – schließlich wäre es sonst schwer gewesen, Ball, Netz und Spielfeld zu sehen. Vermutlich nicht ganz nüchtern. Die Vorstellung fanden wir sympathisch. Einzig wie und wieso der Ball dann seinem grausamen Ende zugeführt worden war, ließen wir aus. Das hätte nicht dazu gepasst.

Später am Sonntag rief dann mein Buddy an: Er wisse jetzt, wieso ihm die Idee der Naschmarktnachtvolleyballer so sympathisch gewesen sei. Nicht, obwohl wir die Sportler nicht kennen würden, sondern genau deshalb. Schließlich gäbe es immer weniger Leute, die nicht auch noch das Einwerfen eines ausgekauten Kaugummis in einen Mistkübel als Event – inklusive Medienpartnerschaft, VIP-Bereich und Sponsorpaket – verbraten wollen. Da einmal nur auf die archäologischen Reste einer Veranstaltung zu treffen, habe ja geradezu Seltenheitswert.

Herausforderung

Trotzdem, meinte mein Mitläufer, wäre ein bisserl Pubicity doch nicht schlecht: Er hat nämlich früher ganz gut Volleyball gespielt. In der Halle – nicht am Sand (Beachvolleyball verweigert er – aus Gründen der Eventismus-Abscheu). Er würde, meinte mein Buddy, die Nachtvolleyballer gerne herausfordern. Auf ihrem Terrain. Mit ihrem Ball ­ und für die Revanche würde dann er den geeigneten Stadtrahmen suchen. Er habe da schon etwas im Auge.