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Wirkte im Kontext der Uraufführungen mit seinem alten Werk "Punkte" frisch - Karlheinz Stockhausen.

Foto: APA/dpa/Scheidemann
Salzburg - Weggeräumt ist die zerbrochene Frau auf der Bühne der Felsenreitschule. An Schreker und Die Gezeichneten erinnert nur noch eine kleine Ausstellung im Foyer. Vorbei also der Operntrubel - die Salzburg Passagen, die Neue-Musik-Reihe der Festspiele, sollen ungestört von Premierenlärm auf sich aufmerksam machen.

Der geleerte Bühnenplatz scheint zunächst angebracht - Komponistin Chaya Czernowin hat sich das RSO Stuttgart bestellt. Auf den Inhalt der Ausschnitte aus Maim bezogen wirkt der Aufwand allerdings kaum zwingend, da der Großteil der Musiker im Zustand nur kurz unterbrochener gespannter Untätigkeit gehalten wird. Man hört perkussives Vortasten, Geräuscheffekte, auch eine Art zwitschernden Vogelschwarm - ein sich zierendes Orchestermonster. Manch einer mag das Werk für eines von Philipp Maintz gehalten haben. Die Werkreihenfolge wurde vertauscht, ohne dass jemand dies mit der nötigen Deutlichkeit vermittelt hätte. Der Unterschied ist allerdings zu hören: heftige landschaften mit 16 bäumen ist ein Ort der Hyperaktivität, an dem Energiefelder erzeugt werden.

Dann schon lieber Salz von Enno Poppe, vom Klangforum im Mozarteum präsentiert. Schüchterne Ensemble-Gesten heben an, ummantelt vom Keyboardsound. Ein Stop-and-go-Spiel entwickelt sich, das zwischendurch in einen Tonfall der Wehklage verfällt. Dann finales Ausrasten: Das Keyboard gleicht einer exaltierten Klangpuppe, die ihre Umgebung ansteckt. Witzige Chaossituation.

Die Passagen haben den Begriff der Zweiten Moderne in den Diskursring geworfen, doch nicht nur anhand der Werke ist er schwer zu lokalisieren; kaum einer der eingeladenen Tonsetzer identifiziert sich mit ihm. Georg Friedrich Haas sieht sich der ersten Moderne zugehörig, deren Beginn er bei Leoninus ortet, der im 13. Jahrhundert auf die Idee kam, "zweistimmig zu komponieren".

Selbst hören

Philipp Maintz will schreiben, was er selbst hören möchte; Liza Lim hält die Frage nach der Zweiten Moderne für eine sehr "deutsch-europäische"; Enno Poppe wehrt sich gegen Schubladisierungen und sieht die zweite Postmoderne nahen. Auch Richard Barrett will sich durch den Begriff "die Hände nicht binden" lassen, neigt wohl eher der Meinung von Sebastian Claren zu, der findet, es gäbe nur individuelle Positionen.

Immerhin: Brett Dean hat den Begriff zwar noch nie gehört, aber er sieht Gemeinsamkeiten bei den aktuellen Tonsetzern - in der "Qualität instrumentaler Avanciertheit, bei der der Interpret transzendiert" wird. Und Czernowin meint: Viele Künstler arbeiten im Bereich "des Verstehens, wie die Dinge, wie Wahrnehmungen funktionieren". Das mag man Zweite Moderne nennen. Oder auch anders.

Auch äußerlich ist schwer Gemeinsames festzustellen. Maintz trägt Irokesenschnitt, Claus-Steffen Mahnkopf setzt auf topfartigen Mönchsschnitt, der an Helmut Lachenmann erinnert. Mahnkopf sieht aber eine Zweite Moderne. Diese habe etwas mit Widerstand und "der Freiheit des schöpferischen Handelns" zu tun. Wie auch immer: Mahnkopf hat ein passables "Klavierkonzert" geschrieben, das als Prospero's Epilogue verschiedene Materialbearbeitungen mit ein bisschen Poesie mixt. Auch Zwölftontechnik ist zugegen, von der Karlheinz Stockhausen in Punkte schon eher weit entfernt war, damals in den frühen 50er-Jahren. Dennoch: Im Passagen-Kontext klang Punkte nicht weniger frisch als die Neuheiten.

Peter Ruzicka ist zuzustimmen: "Klar ist, dass es in der zeitgenössischen Musik eine Ermüdung und Erschöpfung gibt, die wir durchbrechen müssen. Unter Zweite Moderne verstehe ich, Dinge zu tun, von denen wir nicht wissen, was sie sind. Genau dieses Risiko ist die Postmoderne nicht eingegangen." Einen Durchbruch hat man bei den Passagen jedoch nicht gehört. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.08.2005)