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Die Wähler werden für den Wechsel stimmen, zwar nicht mit voller Überzeugung, aber doch mehrheitlich, meint Politikwissenschaftler Rüb.

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch
Am Donnerstag entscheidet das deutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe darüber, ob am 18. September Bundestagswahlen stattfinden. Der deutsche Politikwissenschaftler Friedbert Rüb bezweifelt im Interview mit derStandard.at , dass das Gericht die Entscheidung von Bundestag und Bundespräsident umstoßen wird. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass Merkel die neue Kanzlerin wird, die Frage sei aber, ob sich eine schwarz-gelbe Mehrheit ausgeht.

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derStandard.at: Glaubt man den Umfragen, so scheint das Rennen zwischen CDU/CSU und SPD so gut wie entschieden zu sein. Sehen Sie das auch so?

Rüb: Es gibt im Prinzip eine große Frage, die noch offen ist: Wird es eine Koalition zwischen CDU/CSU und FDP - die wahrscheinlich ist - oder eine große Koalition. Das hängt an zwei bis drei Prozent und vor allem hängt es davon ab wie viel Prozent die Linkspartei bekommen wird.

Die meisten Meinungsforschungsinstitute sagen eine knappe Mehrheit für Schwarz-Gelb voraus, aber das kann sich relativ bald ändern, denn noch nie waren die Wähler so wackelig in ihrem Urteil. Deshalb halte ich die beiden Optionen für möglich.

derStandard.at: Steckt hinter den guten Umfragewerten für CDU/CSU der Wunsch nach einem Wechsel?

Rüb: Nach allen Umfragen, die ich kenne, erwartet sich der Großteil der Befragten von der neuen Regierung keinen wesentlichen Unterschied in der Regierungspolitik, sondern sie erwarten von CDU/CSU und FDP sogar noch einen weiteren Abbau von sozialen Rechten und zusätzlich zur Erhöhung der Mehrwertsteuer auch noch weitere Steuererhöhungen.

Viele sind sehr unzufrieden mit der rot-grünen Regierung, aber im Vergleich zu 1998 ist die Stimmung nicht so stark ausgeprägt, dass man dann frohen und guten Herzens CDU oder FPD wählt. Der große Unterschied besteht darin, dass sich die Leute eben keine grundlegende Änderung von der Politik mehr erhoffen. Es gibt mehrere Umfragen, die besagen, dass das Vertrauen in die politischen Parteien und ihre Politik, noch nie so tief war, wie jetzt kurz vor dieser Wahl. Die Menschen trauen der Politik nicht viel zu.

derStandard.at: Ist der Frust der Wählern schon so groß, dass sie sich überhaupt nicht mehr mit den Themen auseinander setzen wollen?

Rüb: Es ist ein Frust da und das wissen wir auch aus Umfragen, dass die Leute von grundsätzlichen politischen Entscheidungen extrem wenig wissen und verstehen und sich auch gar nicht dafür interessieren.

Die Menschen nehmen nur ganz bestimmte Themen wahr, die kampagnenmäßig über einen längeren Zeitraum in den Medien abgehandelt werden. Im Moment ist das die Mehrwertsteuererhöhung, was relativ stark diskutiert wurde, dann die Aussagen von Stoiber gegenüber den Ostdeutschen.

derStandard: Im Osten ist die Linkspartei laut Umfragen stimmenstärkste Partei. Ist das denn tatsächlich wahrscheinlich oder wird ihre Stärke in Umfragen überbewertet?

Rüb: Nein, eigentlich nicht. Es gibt da mehrere Faktoren: Erstens ist die PDS organisatorisch ungeheuer stark, weil sie aus der SED entstanden ist. Die Westparteien hingegen sind zwar in Ostdeutschland präsent und es gibt Politiker, aber sie haben praktisch keine Mitglieder. Es sind quasi Parteien mit Köpfen, aber ohne Mitglieder sprich ohne organisatorischen und mitgliedschaftlichen Unterbau. Das ist eine der großen Schwächen dieser Parteien dort. Dieses Problem hat die PDS überhaupt nicht.

Das Zweite ist, dass die PDS und die WASG die Werte verkörpern, die immer mit einer Verlustempfindung gegenüber der Vergangenheit verbunden sind. Die Leute sind einfach in eine massive Unsicherheit gestürzt worden und viele reagieren damit, dass sie quasi Nostalgie wählen und die, die Sicherheit versprechen.

Das ist genau das Programm der Linkspartei: Mehr soziale Rechte, höhere Sozialausgaben, mehr Investitionen, sie wollen Kürzungen rückgängig machen - also alles was die Leute verunsichert.

Diese beiden Faktoren sind auch dafür verantwortlich, dass die PDS im Osten stark ist und auch mittelfristig die stärkste Partei werden wird: Sie ist in der Lage, populistisch zu mobilisieren und es gibt einfach noch ein nach rückwärts gewandtes, sehr starkes Milieu vor allem bei den älteren Personengruppen. Die ehemalige DDR ist alt, weil die vielen Jungen, die innovativ sind, die Chance der Wende genutzt haben und weggegangen sind. Deshalb ist auch das Wählerklientel eine, das anfällig ist für die PDS.

derStandard.at: Trotzdem ist es überraschend, dass die Linkspartei in Umfragen bundesweit sogar vor Grünen und FDP liegt. Ist es realitisch, dass sie das schaffen?

Rüb: Ja, das ist realistisch. Das habe ich und auch viele andere schon immer so eingeschätzt. Eine zeitlang wurde ja darüber diskutiert, ob die Linkspartei überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Der Punkt war eigentlich: Die brauchen Köpfe und sobald sie diese haben, liegt ihr Potential zwischen acht und zwölf Prozent und es scheint mir eindeutig zu sein, dass sie bundesweit mehr Prozente kriegen werden als Grüne und FDP.

Die Frage ist, ob sie ein zweistelliges Ergebnis erzielen oder knapp an ein zweistelliges Ergebnis rankommen. Das schadet genauso der CDU/CSU wie der FPD und es sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es eine schwarz-gelbe Koalition gibt. Das Gleiche trifft auf die Wahlbeteiligung zu: Eine niedrige Wahlbeteiligung nutzt dieser Gruppierung und schadet SPD, FDP und Grünen.

derStandard.at: Was müsste Merkel eigentlich falsch machen, um den ersten Platz doch noch zu verspielen?

Rüb: Frau Merkel kann alles falsch machen und trotzdem wird die CDU/CSU über 40 Prozent sein. Um es anders zu formulieren: Frau Merkel wird auf jeden Fall Bundeskanzlerin werden, die große Frage ist, wer Vizekanzler wird. Gewinnen CDU/CSU plusminus 43 Prozent, dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen Wahlsieg von Schwarz-Gelb relativ groß. Liegt sie aber nur bei 42 oder womöglich 41, während die FDP konstant bleibt, dann kriegen sie keine absolute Mehrheit.

Aus meiner Sicht liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Schwarz-Gelbe Koalition bei 70 Prozent - das ist extrem spekulativ, aber um es deutlich zu machen - und jene für eine große Koaltion bei 30 bis 35 Prozent.

derStandard.at: Also auch das Gefühl, dass ohnehin schon alles entschieden ist, kann Merkel nicht mehr zum Verhängnis werden?

Rüb: Nein, Frau Merkel wird die neue Kanzlerin werden.

derStandard.at: Bei den letzten Wahlen hat unter anderem die Flut Schröder noch einmal "gerettet". Könnte ihm das dieses Jahr auch wieder helfen?

Rüb: Selbst die Debatte um den Friedensnobelpreis für Schröder - was ich für ziemlich absurd halte - wird nichts mehr grundlegend ändern. Das bringt der SPD höchstens ein bis eineinhalb Prozent. Der zentrale Punkt wird erstens sein, wie das Verfassungsgericht entscheidet, und zweitens, wie man in den letzten drei bis Wochen vor der Wahl mobilisiert und welche Themen man aufkocht. Das entscheidet aber - so würde ich schätzen - höchstens über die Wahlbeteiligung und über die Frage, ob es eine Schwarz-Gelbe oder eine große Koalition wird.