Man kann an der jetzt von der tschechischen Regierung beschlossenen Versöhnungsgeste vieles kritisieren. Die Gründung eines Dokumentationszentrums für Vertriebene ist ein rein symbolischer Akt. Sie enthält keinerlei finanzielle Komponente für die Betroffenen. Die Entschuldigung erreicht ihre Adressaten äußerst spät. Nach Schätzungen sind nur noch 200 "wirkliche deutsche Antifaschisten" (Premier Jirí Paroubek) am Leben. Es wird wohl nicht lange dauern, bis erste Stimmen aus den Vertriebenenverbänden laut werden, die darauf aufmerksam machen, dass man besonders nach den österreichischen Entschädigungszahlungen von tschechischer Seite mehr erwartet hätte. Auch finanziell.

Es ist ein rückwärts gewandtes, gegenseitiges Aufrechnen, eine makabre Mathematik der Geschichte, auf die sich solche Forderungen stützen. Persönliches Leid lässt sich nicht aufwiegen, noch über die Grenzen vergleichen, und schon gar nicht "wiedergutmachen" - nur anerkennen. Anerkennen kann aber nur, wer bereit ist, historische Verantwortung zu übernehmen.

Es stimmt, dass in den postkommunistischen Ländern dieser Prozess erst schleppend anläuft. Kritische Geschichtsschreibung ist ein vergleichsweise junges Fach, offiziell existiert es erst seit 1989. Davor forschten Historiker nur im Exil - oder ihre im Land verbliebenen Kollegen an den Untergrunduniversitäten. Ihre Publikationen erreichten nie die breiten Massen. Die Versöhnungsgeste Jirí Paroubeks richtet sich somit ebenso an Tschechien wie an das deutschsprachige Ausland. Eine Million Euro für ein nationales Dokumentationsprojekt in die Hand zu nehmen, das sich eines der umstrittensten Kapitel der eigenen Geschichte widmet, ist in Tschechien im Jahr 16 nach Ende des Kommunismus ein politisch überaus mutiger Schritt. Das sollte Österreich, das im Jahr 60 nach Ende des Faschismus gerade sein Gedankenjahr durchleidet, besonders respektieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.8.2005)