Der gleiche Zugang zur medizinischen Versorgung ist längst eine Illusion. Die Zweiklassenmedizin ist Realität, ein Dschungel aus Selbstbehalten, Zusatzversicherungen und verschiedenen Leistungen verschiedener Kassen führen dazu, dass nicht jeder Patient im gleichen Tempo dieselbe Behandlung erhält. Endlich wird die Realität zur Kenntnis genommen - damit kann offen diskutiert werden, ob tatsächlich jeder Patient das für ihn beste Medikament bekommt.

Nein, sagt die Pharmaindustrie auf diese Frage - und beklagt im Chor mit Spitzenmedizinern, dass der politisch verordnete Sparzwang den Einsatz von neuen, teuren Arzneien verhindere. Die Pharmabranche ist aber in einer schlechten Argumentationslage: Gerade die Vergabe von Naturalrabatten zeigt, dass sie offenbar Spielraum hat, Ärzte zu verwöhnen. Und um neue Arzneien für Patienten günstiger zu machen, dafür soll kein Spielraum sein? Aus dieser Argumentationszwickmühle gibt es nur einen Ausweg: Die Naturalrabatte müssen gänzlich fallen. Dann kann weiterdiskutiert und auch beantwortet werden, ob billigere Generika automatisch die schlechteren Medikamente sind. Jahrelang galt der Einsatz von Generika als das Wundermittel für finanzmarode Krankenkassen - verhindert ihr verstärkter Einsatz nun Forschung und bessere Behandlung?

Dass diese Fragen aus der Tabuzone rücken, zeigt auch, in welchen Finanznöten das Gesundheitssystem steckt. Die Ausgaben steigen, die Einnahmen sinken. Die Therapie dafür haben Experten parat: Die Ebene der Beitragszahlungen ausweiten - statt bisher nur auf Basis von Löhnen soll auch auf Basis von Vermögen bezahlt werden. Diese bittere Pille schlucken Politiker derzeit nicht gern. Die Frage ist, ob sie eine Alternative haben - außer der, das System Zweiklassenmedizin zu verstärken. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.8.2005)