Foto: todiinfo.it

Warum Todi? Todi ist doch nur ein Ort auf einem Hügel wie viele in Mittelitalien. Von Weitem überragen die Türme der kirchlichen und weltlichen Mächte die roten Ziegeldächer auf den sienafarbenen Mauern, darüber ein makelloser Himmel. Das kennt der Reisende, egal, ob er von Perugia, Assisi, Orvieto oder Terni angereist kommt.

Auch dass er nach der kurvenreichen Anfahrt durch die chaotisch verbauten Neuteile des Ortes erstmal vor der Stadtmauer aussteigen und Weiteres besser zu Fuß erkunden soll, weiß er von anderswo. Also nähert er sich dem Zentrum durch winkelige "vie" und "vicoli", die wie üblich Cavour, Roma und della Vittoria heißen, hier auch Mateotti (aha, die Gemeinde ist also sozialistisch).

Also warum gerade Todi? Was macht diese umbrische Kleinstadt in der Provinz Perugia zu so einer Attraktion nicht nur für die Toskana-Fraktion der Touristen (deren Fortsetzung bekanntlich Umbrien ist), sondern auch für Städteplaner und betuchte Drittwohnungsbesitzer?

Die Antwort machte Anfang der Neunzigerjahre die Runde. Forscher an der University of Kentucky hatten per Computeranalyse nach der idealen, nachhaltigen urbanen Einheit gesucht. Die ausgespuckten Daten ergaben: Es muss ein Ort wie Todi sein - die richtige Balance aus gewachsener Struktur, menschlichem Maß und intakter Landschaft, aus Geschichte und Modernität, eine überschaubare Verwaltung und eine Einwohnerzahl unter 20.000 (der Ort hat 17.000).

Eine "Modellstadt" ist Todi für den Projektleiter, Architekturprofessor Richard Levine. Sie ist es vielleicht als Ergebnis einer Geschichte, die unter den Etruskern begann und sich 2000 Jahre lang eher unauffällig, im Schatten viel bedeutenderer Stadtstaaten fortsetzte.

Jedenfalls haben die Tuderti...

... - so heißen die Einwohner - das schmeichelhafte Forschungsergebnis erstmal leicht uminterpretiert und aus "most sustainable" "die lebenswerteste Stadt" gemacht, und dann haben sie einiges darangesetzt, diesem Ruf gerecht zu bleiben. Bald fällt auf, dass Todi tatsächlich sehr gut gemanagt und in Schuss gehalten wirkt. Die Gassen sind intakt, weder zuasphaltiert noch kaputt. Es gibt viel Handwerk, das nicht auf Andenkenkitsch spezialisiert ist, sondern auf so brauchbare Dinge wie Tische und Schränke.

Dem Besucher wird kein permanenter Karneval vorgegaukelt, sondern, wie die Plakate und Tribünen auf der Piazza andeuten, ein brauchbares Kulturfestival geboten. Und auf die für wichtig erachteten Sehenswürdigkeiten - die gotische Kirche San Fortunato, den Hauptplatz mit der Kathedrale und die Paläste der Comune und der Priori, die ungewöhnliche kreuzsymmetrisch errichtete Santa Maria dell Consolazione außerhalb der Mauern - auf diese Kulturdenkmäler verweisen vernünftige kleine Schilder, an deren unterem Rand manchmal "Rotary Todi" steht.

"Ja", sagt Fabiola Bernardini, "unsere Rotarier, auch Lions und der Archeoclub investieren einen Teil ihres Budgets in die Restaurierung der Kulturschätze." Bernardini ist Leiterin der beachtlichen Stadtbibliothek. Sie kennt ihre Gemeinde und weiß, dass das Lob aus Kentucky nicht nur Gutes bedeutet hat. "Ziemlich bald sind wir von wohlhabenden Amerikanern und Westeuropäern ausgekundschaftet worden. Die Immobilienpreise sind auf sechs Millionen Lire (3000 Euro) pro Quadratmeter gestiegen - und das in einer bis dahin ziemlich verschlafenen Altstadt!"

Kein Zweifel, Todi war in. Doch das Zentrum lief Gefahr, eine ausgehöhlte Fassade für Sustainability-Freaks unter den oberen Zehntausend zu werden. Zum Glück hielt der Boom nicht an, was laut Bernardini vor allem damit zu tun hatte, dass es den neuen Anrainern zu langweilig oder zu eng wurde, worauf sie entweder in das umgebende Land umzogen oder überhaupt neuen Moden der Inbesitznahme folgten.

In Todi ist wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Der Ort hat seinen Rhythmus gefunden, akzeptiert den Tourismus, ohne sich ihm auszuliefern. Es gibt Jobs in der Umgebung oder in Rom, das dank der Superstrada in Reichweite ist. Der Wein ist in Ordnung, das Öl auch und sogar die Preise. Die Forscher im Center for Sustainable Cities, Lexington, Kentucky, wird's freuen. Den Reisenden auch. (Der Standard/rondo/26/08/2005)