Salzburg - Das Niveau einer Konzertprogrammierung markieren nicht nur die Werke, die zur Aufführung kommen, und das Niveau von deren Interpretation. Vielmehr sind es die sich - egal, ob durch Zufall oder beabsichtigt - zwischen den einzelnen Kompositionen ergebenden kaleidoskopischen Spiegelungen und Bezüge, die ein einzelnes Programm oder eine Gruppe von Konzerten erst über den üblichen Musikalltag erheben.

Als besonders glückliche Beispiele solcher innerer Zusammenhänge können die beiden Festspielkonzerte vom Dienstag und vom Mittwoch dieser Woche gelten. Das eine vom Gustav-Mahler-Jugendorchester unter Ingo Metzmacher in der Felsenreitschule, das andere mit dem Concertgebouw-Orchester Amsterdam unter Mariss Jansons im Großen Festspielhaus.

In beiden herrschte auf virtuose Weise zum Klingen gebrachte Endzeitstimmung, die beim Auftritt des Gustav-Mahler-Jugendorchesters noch durch den Umstand verstärkt wurde, dass es sich bei Karl Amadeus Hartmanns Gesangsszene für Bariton und Orchester und bei der 15. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch in gewissem Sinn um musikalische Vermächtnisse handelte.

Hartmann, dessen Berück-sichtigung im Salzburger Festspielprogramm nicht genug gerühmt werden kann, ist über der Komposition dieses Werkes 1963 gestorben, und bei Schostakowitschs 1973 uraufgeführten 15. Symphonie handelt es sich ebenfalls um das letzte größere Werk, das der Komponist zwei Jahre vor seinem Tod vollendet hat.

Beide Werke, ebenso wie Beethovens Coriolan-Ouvertüre, erfuhren durch das von Ingo Metzmacher zu animierter Präzision hochtrainierte Gustav-Mahler-Orchester äußerst intensive Interpretationen, zu deren Überzeugungskraft vor allem auch Matthias Goerne als Solist in Karl Amadeus Hartmanns Gesangsszene wesentlich beitrug.

Als Textgrundlage dieses Werkes fungieren Passagen aus Sodom und Gomorrha von Jean Giraudoux, die mit flirrender Poesie Visionen eines Weltenendes ausbreiten. Hartmann verzichtet in seiner Vertonung auf jegliche Klangillustration, sondern entwickelt autonome, höchst expressive und in den Klangfarben sorgfältig ausgehorchte musikalische Strukturen, die in ihrer Stimmungsdichte beinah als präverbale Aura des Giraudoux-Textes erlebt und auch verstanden werden können.

Diese zwingende künstlerische Dimension zum Klingen gebrachter Ahnungen von Schrecken und Vergänglichkeit wirken wie ein emotionaler Enterhaken zu Gustav Mahlers sechster Symphonie, die am Mittwoch dann durch das Concertgebouw-Orchester unter Mariss Jansons eine geradezu ereignishafte und vom Publikum auch entsprechend gewürdigte Deutung erfuhr.

Diesem formal heute noch rätselhaften und vielfach deutbaren Mammutwerk kann eine ausschließlich analytische Wiedergabe niemals ganz gerecht werden. Es ist viel mehr das aus den Noten allein nicht ablesbare, sondern nur durch das Sensorium hellsichtiger Empfindung aufspürbare Gen der Verzweiflung, das den Zusammenhalt dieser Symphonie bewirkt.

Diesem hat Mariss Jansons auf bewundernswerte Weise nachgespürt und so die zu kleinsten Partikeln aufgelöste Zerrissenheit des Werkes dank der Brillanz seines Orchesters ganz ohne Gewalt immer wieder zu zwingenden Abläufen gebündelt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.8.2005)