Auch frauenpolitisch ist der Entwurf des Gentechnikgesetzes problematisch, da das Selbstbestimmungsrecht der Frau dem enorm anwachsenden Druck jedenfalls ein gesundes, ein perfektes Kind zur Welt bringen zu müssen, zum Opfer fallen wird, meinen Judit Marte und Franz-Joseph Huainigg.
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Die Kritik an der Novelle des Gentechnikgesetzes wird auch innerhalb der Regierungsfraktion - trotz "öffentlichkeitswirksamer" Beschränkung der Begutachtungsfrist auf die Ferienwochen - immer lauter. Hauptangriffspunkt: die erweiterte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik.


Wir sind es gewohnt, alles kaufen zu können, die Forschung verspricht fast schon täglich neue Heilungsmöglichkeiten, und jedes Risiko glaubt man durch Versicherungen "im Griff" zu haben. Eine Folge der TV-Fernsehserie "Universum" brachte es vor Kurzem auf den Punkt: Gott und Evolution waren gestern, heute ist Wissenschaft: Der Mensch nimmt seine Zukunft und Entwicklung selbst in die Hand, die Genforschung geriert sich als Korrektor des Schicksals. Wo die Natur scheinbar pfuscht und Krankheit und Behinderung zulässt, verspricht die Wissenschaft den perfekten Menschen "made im Labor". Ein Schlüsselinstrument zu dieser schönen neuen Welt ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), die nunmehr auch in Österreich zugelassen werden soll. Kann man wirklich gegen diesen Fortschritt sein? Man kann. Und man muss.

Die PID soll laut Regierungsvorlage in jenen Fällen zugelassen werden, in denen, aufgrund des genetischen Befundes der Eltern beim Fötus das Risiko einer schweren Erkrankung besteht, die noch während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder bald nach der Geburt zum Tode führt. Vor allem schwangeren Frauen, so wird argumentiert, könne man durch die Frühdiagnostik Leid und Unsicherheit ersparen. Übersehen wird dabei, dass die PID eine In-vitro-Fertilisation (IV) bedingt, die mit schweren hormonellen Belastungen und auch hohem Risiko für Mehrlingsgeburten verbunden ist.

Unhaltbare Argumente

Die Erfolgsquote bei IV liegt bei nur knapp 14 Prozent, wodurch ein mehrmaliges Wiederholen der Prozedur zumeist unabdingbar ist. Zudem ist die Aussagekraft der PID viel geringer, als von Befürwortern gerne dargestellt: Den Frauen bleibt daher eine spätere Pränataldiagnostik in Form von Fruchtwasserpunktionen vielfach nicht erspart. Das Argument, dass die PID "eine alternative Methode zu (Spät-)Abtreibungen darstellt", wie dies in den Erläuterungen angeführt wird, ist nicht haltbar. Im Gegenteil: Die Hemmschwelle gegenüber pränataler Selektion wird weiter sinken.

Als typisches Beispiel für eine "unzumutbare" Krankheit wird in den gesetzlichen Erläuterungen die Behinderung durch spinale Muskelatrophie beschrieben. Zur Illustration: Franz K., Vater eines Sohnes mit dieser Behinderung, schreibt in einem offenen Brief, dass er die vier Jahre mit seinem Sohn nicht missen möchte. Ähnliche Erfahrungen machte auch Maria B.: Nach der Geburt ihres Sohnes Martin wollte man ihr das Kind wegnehmen, da es zum Sterben verurteilt sei. Drei Tage später brachte man es ihr wieder. Heute ist Martin 16 Jahre alt und absolviert eine Lehre im Rahmen der integrativen Berufsausbildung.

Die PID soll laut Gesetzestext "nur" zur Überprüfung der "Lebensfähigkeit"eines Embryos zulässig sein. Nur: Wer entscheidet, was "lebensfähig" heißt?

Der Gesetzgeber verlangt die Erstellung eines Kataloges, der Behinderungen und Erkrankungen entsprechend definiert - und genau das ist vehement abzulehnen. Behinderung ist nicht gleich Leid: Selbst wenn ein/e Behinderte/r aus eigener Kraft nicht lebensfähig ist, sondern auf viele Hilfen angewiesen ist, sagt das noch lange nichts über die Lebensqualität der/des Betreffenden aus, auch wenn sich das nicht behinderte Menschen oft nicht vorstellen können oder wollen.

Es gibt viele behinderte Menschen oder Eltern behinderter Kinder, die glücklich sind und gerne leben, ja sogar für viele nicht behinderte Menschen ein "Vorbild" darstellen. Vielmehr gilt es die Lebens- und Integrationsbedingungen für behinderte Menschen ständig zu verbessern.

Die PID soll in Österreich aber künftig auch zugelassen werden, wenn drei IV-Versuche erfolglos verlaufen sind. Diese Öffnung wäre europaweit einzigartig und entspricht nahezu einer unbeschränkten PID-Zulassung. Denn konsequenterweise wird - angesichts der erheblichen hormonellen Belastung bei solchen Eingriffen - bald gefragt werden: Warum nicht gleich nach dem ersten Versuch? Und: Warum nicht auch eine PID bei anderen Risikofaktoren wie etwa spätes Gebäralter?

Namhafte Genforscher/innen gehen heute sogar noch einen Schritt weiter und fordern die generelle Ablöse der "herkömmlichen" Fortpflanzung durch IV: Da Erstere aus rein wissenschaftlicher Sicht im Hinblick auf mögliche Erkrankungen und Behinderungen zunehmend unverantwortlich sei, solle die Zeugung vom Bett oder dem Heustadl ins Labor verlegt werden.

Auch frauenpolitisch ist dieser Gesetzesentwurf äußerst problematisch, da das Selbstbestimmungsrecht der Frau dem enorm anwachsenden Druck jedenfalls ein gesundes, ein perfektes Kind zur Welt bringen zu müssen, zum Opfer fallen wird.

Dazu kommt, dass Behinderung auch durch eine lückenlose vorgeburtliche Diagnostik nicht aus der Welt zu schaffen ist. Nur ein bis drei Prozent aller Behinderungsarten sind genetisch bedingt.

Schiefe Relationen

Zuletzt noch ein Wort zum viel strapazierten Argument, Österreich müsse sich der PID öffnen, um nicht in der Forschung zurückzufallen:

Tatsächlich werden heute international gigantische Summen in die Erforschung der menschlichen Erbsubstanz investiert. Und gleichzeitig erleben wir, wie tausende Menschen tagtäglich an Hunger sterben - oder ganz einfache Erkrankungen nicht überleben, weil ihnen die nötigen Medikamente fehlen. Hier stimmen schlicht die Relationen nicht mehr. Der berühmte Theologe Karl Rahner hat es anlässlich der Mondlandung 1969 auf den Punkt gebracht: "Eure Intelligenz hat den Weg zum fernen Mond gefunden, aber euer Herz kennt den Weg zum Elend eures nahen Bruders nicht."

Bleibt zu hoffen, dass die hochsommerliche Terminisierung der Begutachtungsfrist durch das zuständige Ministerium nicht strategisch motiviert war und die Tage bis zur parlamentarischen Beschlussfassung noch für eine breite Debatte genützt werden. (Judit Marte,Franz-Joseph Huainigg*/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.8. 2005)