Bisher haben sich sowohl die EU-Staaten als auch die EU- Kommission um die Frage herumgedrückt, ob es überhaupt eine realistische Beitrittsperspektive für die Türkei gibt. Auf dem EU-Gipfel im vergangenen Dezember wurde eine Formulierung gefunden, in der sich sowohl Beitrittsgegner als auch die Befürworter einer Aufnahme der Türkei in die Union wiederfinden. Die Formel heißt: "Das Ziel der Verhandlungen ist ein Beitritt. Diese Verhandlungen sind ein offener Prozess, der Ausgang kann nicht vorhergesagt werden." Je nachdem, auf welcher Seite jemand steht, wird dann der erste oder der zweite Satz betont.

Auch die EU-Kommission konnte sich nach heftigem internem Streit im Juni nicht einigen und brachte diese Kompromissformel wortgleich als ihren Vorschlag für ein Verhandlungsmandat mit der Türkei ein. Nun rückt der anvisierte Verhandlungstermin 3. Oktober aber näher und die EU-Außenminister sollen nächste Woche einen erneuten Versuch unternehmen, sich überhaupt auf einen Verhandlungsrahmen zu einigen.

Deshalb platzierte Angela Merkel, die sich offensichtlich schon als deutsche Bundeskanzlerin wähnt, gerade jetzt ihren neuen Vorstoß. Sie versucht noch einmal, die konservativen Regierungschefs dazu zu bringen, ihre Forderung nach einer privilegierten Partnerschaft zu unterstützen. Bei der österreichischen Regierung ist diese Forderung längst auf fruchtbaren Boden gefallen. Zumindest vor der heimischen Öffentlichkeit wird immer wieder betont, dass man auf eine Alternative zum Vollbeitritt dränge. Auf EU-Ebene wird dies viel verhaltener, aber immerhin doch artikuliert.

Dabei sind es eigentlich drei Bedingungen, die Österreich erfüllt sehen will: Die Offenheit des Ausgangs der Verhandlungen mit der Türkei muss gewährleistet, die EU selbst aufnahmefähig sein und überdies soll auch noch möglichst im Verhandlungsmandat eine Alternative zum Vollbeitritt angesprochen werden.

Österreich allein hat sicherlich nicht das nötige politische Gewicht, um diese Forderungen in einem Verhandlungsmandat unterzubringen. Anders sieht die Sache aus, wenn auch Frankreich und Zypern sowie, nach einem Regierungswechsel, Deutschland diese Bedingungen in die Gespräche einbringen würden.

Ein Einschwenken Frankreichs auf diese Linie deutet sich an. Die Türkei selbst bietet mit ihrer Nichtanerkennung Zyperns einen offensichtlich willkommenen Anlass dafür. Dass Ankara zwar die Ausdehnung der Zollunion auf die neuen EU-Mitglieder formal bestätigt, gleichzeitig aber in einem Protokoll erklärt hat, dies bedeute nicht die Anerkennung der Republik Zypern, ist politisch unklug. Der Schritt kam aber nicht überraschend. Der damalige EU-Ratspräsident, der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende, und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder bekräftigten beim Dezember- Gipfel öffentlich, mit der Zollunion sei keine formale Anerkennung Zyperns durch die Türkei verbunden. Damit kann die Anerkennung Zyperns nicht nachträglich zur Bedingung für Verhandlungen gemacht werden.

Es stellt sich angesichts der Hürden schon die Frage, ob die Türkei jemals eine realistische Chance hat, in die Union aufgenommen zu werden. In Frankreich und Österreich sollen vor einem allfälligen Beitritt auch noch Referenden abgehalten werden. So könnte an der österreichischen Volksmeinung ein EU-Beitritt scheitern, auch wenn alle anderen Staaten dafür wären.

Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Er halte es für "zynisch, jetzt auf ein Ziel hinzuverhandeln, von dem man weiß, dass man es nicht erreicht". Denn dann kann man sich die Verhandlungen wirklich gleich sparen, die nach heutigem Stand ohnehin mindestens zehn Jahre dauern würden. Es ist besser, der Türkei jetzt reinen Wein einzuschenken, statt nach einem Jahrzehnt zu sagen, dass es ohnehin nie etwas mit einem Beitritt werden wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.8.2005)