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Foto: apa
Drei Frauen, drei Lebensgeschichten: Uschi, Mutter von drei Kindern, Judith, die davon träumt, Lehrerin zu werden, und Andrea, gelernte Friseurin und Mutter eines Sohnes. Was sie verbindet, ist die Erfahrung, kein eigenes Dach über dem Kopf zu haben. Von Bleibe zu Bleibe zu ziehen, sich schutzlos zu fühlen, manchmal verzweifelt zu sein. Aber auch zu hoffen, Hilfe anzunehmen und neu zu beginnen. Mit die Standard.at sprachen sie über ihre Geschichte.

Uschi, 39, Mutter von drei Kindern:
"Ich hab oft gedacht: 'Jetzt renn ich davon'"

Sie waren eine Familie wie jede andere, als Uschis Mann vor sechs Jahren plötzlich an Gehirnschlag starb. Mit der Situation überfordert, war sie dankbar, dass ihr Neffe anbot, sich um den Alltagskram zu kümmern. Vertrauensvoll überließ sie ihm auch das Geld für die Miete. "Dass er die nie eingezahlt hat, hab ich erst gemerkt, als wir delogiert wurden."

Der älteste, damals 13-jährige, Sohn zieht zur Großmutter. Sie selbst bricht wegen Unstimmigkeiten jeden Kontakt zu den Eltern und den Geschwistern ihres Mannes ab. Mit den anderen beiden Kindern kommt sie zunächst bei Bekannten unter, dann ein paar Monate beim Schwiegervater einer Freundin: "In einer 20-m²-Wohnung ohne warmes Wasser, wo immer auch irgendwelche Männer übernachteten – aber ein Dach über dem Kopf."Der zweite Sohn geht – in eine betreute Wohngemeinschaft. Die Situation wächst Uschi über den Kopf, aus Verzweiflung beginnt sie zu trinken. Der jüngste Sohn gibt ihr Kraft: "Mama, wir schaffen das schon, wir kriegen schon unsere Wohnung."

Wohnplatz im Heim

Sie bekommt ihr Alkoholproblem in den Griff und mit ihrem Sohn einen Wohnplatz in einem Heim für wohnungslose Familien. Besser, aber "kein Zustand", sagt sie: "Du musst Dir alles mit Fremden teilen: WC, Dusche, Küche. Das eigene Zimmer ist klein und eng und Du kriegst alles mit, was rundherum passiert - es ist immer laut, Privatsphäre gibt es nicht." Manchmal hätte sie fast aufgegeben: "Ich hab oft gedacht: 'Jetzt renn ich davon'." Für die Kinder ist sie geblieben. Zuflucht findet sie in der Zeit in einer Scheinwelt, in die sie sich ab und zu hineingeträumt hat: "Die Fantasie half mir beim Überstehen: Wenn ich zum Beispiel geputzt hab, stellte ich mir vor, ich putze für die Wrestler, die ich so gerne mag: Dann gab es keine Heimküche mehr, sondern das war dann ihre Küche, wenn ich mein Bett machte, war es das meines Traum-Wrestlers."

Seit Dezember 2004 haben Uschi und ihr Sohn jetzt ihre eigene Wohnung, sie bekommt soziale Unterstützung und ist glücklich mit ihrem neuen Lebenspartner. Gefunden haben sich die beiden dank ihres Sohnes – er hatte als Überraschung für die Mama in der Internet-Börse inseriert. Um alle Geldangelegenheiten kümmert sich ein Sachverwalter - den ihre Eltern ohne ihr Wissen einsetzen ließen. Erst habe sie das geärgert, heute stört es sie nicht mehr - sie ist glücklich über die eigenen vier Wände: "Ein Paradies, das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe – und endlich eine Dusche, die ich mit niemandem mehr teilen muss."

Judith, 22, träumt davon, Deutschlehrerin zu werden:
"Ich fürchte mich vor gar nichts mehr"

Judith hat einmal eine Wohnung gehabt, eine Beziehung, einen Job. "Ich hab normal gearbeitet, bin mitten im Leben gestanden." Bis zum "großen Crash": Ihre Partnerschaft ist zerbrochen, und Judith fast mit. Sie begann zu trinken. Die Lehrstelle als Tischlerin hat sie verloren, weil sie ihren Rausch ausschlief und immer öfter zu spät kam: "Ich kann nur solange arbeiten, wie es mir gut geht." Mit dem Job war auch das Geld weg – und wenig später die Wohnung, in der sie früher zu zweit gelebt hatte: "Ich hab keine Miete mehr gezahlt und keinen Mietvertrag gehabt – 12 Tage hatte ich Zeit, um draußen zu sein."

Nach Hause konnte sie nicht – Freundschaften hat sie keine mehr: "Wie die Beziehung vorbei war, war es auch mit den Freundschaften vorbei – und das waren auch nicht die Leute, von denen ich mir Hilfe geholt hätte." Ihre frühere "Wahlmutter" aus der betreuten WG bringt sie für ein paar Wochen in einer Personalwohnung unter. "Ich hab mich gehen lassen, keine Arbeitslose angemeldet, manchmal hatte ich drei bis vier Tage nichts zu essen – es war mir einfach wurscht." Dann muss sie auch dort raus: "Ich hab gedacht, entweder schneidest Du Dir die Pulsadern auf, oder Du findest schnell eine andere Lösung."

Schlechte Erinnerungen

An zuhause hat Judith nur schlechte Erinnerungen: Alkohol, Schläge, Scheidung, Stiefvater, der die Mutter und die Kinder schlägt. Mit 16 zieht sie ins Heim, das Verhältnis zur Mutter ist bis heute schlecht. In ihrer (Wohnungs-)Not ruft sie trotzdem daheim an, einen anderen Rat weiß sie nicht mehr. Nach "vielem Bitten und Betteln" kann sie dort einziehen. "Das ging aber nicht lange gut" – heftige Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung. Von einem Tag auf den anderen packt sie ihre Reisetasche, schnappt sich von der Mutter Lebensmittel und anderes Notwendige – "als Entschädigung für meine verhaute Kindheit" – und zieht zu guten Bekannten, zu denen sie vorher "aus Stolz eigentlich nicht wollte".

Dort wohnt sie seit ein paar Monaten, fühlt sich wohl. Wirklich obdachlos war sie nur drei Tage, "da hab ich im Park geschlafen". Jetzt ist sie das, was frau "verdeckt wohnungslos"" nennt. Auf Dauer bleiben kann sie auch hier nicht. Angst hat Judith keine: "Nach dem, was ich bisher erlebt hab, fürchtet man sich vor gar nichts mehr." Erst einmal den nächsten Schritt planen: Die Arbeitslose ist jetzt endlich geregelt. Dokumente muss sie wiederbesorgen, die auf dem Weg verloren gingen. Und überlegen, wie es weitergehen soll mit Ausbildung, Job.

Große Leidenschaft

Ihre große Leidenschaft ist die Germanistik, die Literatur, die großen SchriftstellerInnen – "mit 13 hab ich schon Faust gelesen, meine Aufsätze waren immer fehlerfrei." Beim Lesen und Schreiben schöpft sie Kraft: "Da kannst Du Dich richtig 'wegbeamen', bist für zwei Stunden mal einfach nicht da." Ihr Traum: "Zu studieren und später Deutsch zu unterrichten." Sie selbst traut sich das zu. Nur andere manchmal nicht, das macht unsicher. Dann hat sie Zweifel, ob sie das schaffen kann, "von dem ausgehend, wo ich herkomm." Dabei würde sie es der Mutter so gerne beweisen und sagen: "Da schau, was Deine Tochter geschafft hat."

Andrea, 41, Mutter eines Sohnes:
"Sie haben alles mitgenommen, sogar die Wäsche"

Andrea lebt heute in ihrer eigenen Wohnung der Wiener Wohnungslosenhilfe. Der Weg dahin war steinig. Andrea selbst sieht darin nichts Außergewöhnliches: "So war das eben, das gehört halt zu meinem Leben."

Die gelernte Friseurin bekommt mit 19 das erste Mal Notstandshilfe. Sie hat schwere gesundheitliche Probleme, die sie immer wieder arbeitsunfähig machen. Mit Mitte 20 fährt sie mit dem Freund nach Italien, verlässt ihn dort, findet in Italien einen neuen Partner. Nicht gemeldet und ohne Papiere lebt sie bei ihm, bis die Schmerzen wieder kommen, sie zurück nach Österreich muss – und merkt, dass sie schwanger ist. Dass sie ihr Kind behalten hat, darüber ist sie heute noch froh: "Ich wusste, irgendwie geht das schon." Ein Freund hilft ihr über die ersten Jahre, stirbt jedoch plötzlich, als ihr Sohn sechs ist.

Hohe Schulden

"Ich war ganz alleine – und die Mietschulden wurden immer höher", sagt Andrea. Ihre gesundheitlichen Probleme werden schlimmer, ihr Sohn bekommt Probleme in der Schule, wird im Krisenzentrum aufgenommen. "Dort wusste ich, dass es ihm gut geht." Die Gerichtsvorladung wegen der Mietschulden beachtet Andrea nicht. 2000 folgt die Delogierung: "Sie haben alles mitgenommen, sogar die Wäsche."

Von da an beginnt das Wandern: von Heim zu Heim, von Notschlafstelle zu Billigherberge. "Ich hab geschaut, dass ich soviel wie möglich außer Haus bin – mit den Leuten dort hab ich’s nicht ausgehalten." Ihre größte Angst: Nicht mehr gesund zu werden. Das Tageszentrum FrauenWohnzimmer wird zum Fixpunkt in ihrem Leben. Mithilfe der Sozialarbeiterinnen dort findet sie schließlich wieder ein eigenes Zuhause. Gesundheitlich fühlt sie sich seitdem wesentlich besser. Und ihr Sohn kann jetzt am Wochenende bei ihr bleiben. Im Herbst macht sie vielleicht eine Aufbauschulung für Friseurinnen: "Ab jetzt geht es bergauf." (Isabella Lechner)