Den Nordmann, sagt S., habe sie im Internet kennen gelernt: Sie habe einfach Bandmitglieder von Metallbands angemailt. Der Nordmann habe geantwortet. Höflich und korrekt. Und aus dem kleinen Mailverkehr mit dem Schlagzeuger einer isländischen Metallband sei dann eine echte, langanhaltende und also dauerhafte Mailfreundschaft geworden.
Einladung
Zu guter letzt, erzählt S., habe sie den Nordmann dann eingeladen. Einfach so. Ohne irgendwelche Hintergedanken. Und da habe der Nordmann eben bei ihr gewohnt. Genauer: In der Wohnung ihrer Eltern. In der Gemeindebausiedlung am Stadtrand. Schließlich ist S. damals gerade 17 gewesen.
Der Nordmann, sagt S., war eine Erscheinung: Über zwei Meter groß – und muskelbepackt wie Hulk. Mit langer blonder Metallmähne und über und über tätowiert. In ihrem Fitnesscenter, sagt S. waren die Jungs und die Mädchen gleichermaßen begeistert. Und im Bau hätten sich ein paar Leute vor dem Nordmann richtig gefürchtet. Dabei war er gar nicht so. Sondern genau das Gegenteil.
Balkonsonne
Aber ihre Großmutter, sagt S., habe eben Pech gehabt. Denn eines Tages habe der Nordmann – dem die tropische Hitze Österreichs ziemlich zu schaffen machte auf dem kleinen Balkon der Wohnung gestanden. In jener Pose, in der Jesus vom Zuckerhut aus über Rio wacht. Allerdings hatte der Nordmann deutlich weniger an: Eine Unterhose. Und seine Tatoos.
Die Nordmann-Unterarme, erzählt S., seien praktisch schwarz gewesen. Weil die Wikinger – seine Vorfahren – doch Lederriemen um die Arme getragen hätten, habe er einmal erklärt, habe er sich die Riemen auftätowieren lassen. Auch sonst sei er ziemlich gepeckt gewesen. Und weil er seinen Bandkollegen in Island imponieren und gebräunt nach Island zurückkehren wollte, habe er sich jeden Tag mindestens eine Stunde auf den Balkon gestellt. In Unterhose und Jesuspose.
Ritualmord
S. Großmutter, erzählt S., sei da nichtsahnend in die Wohnung gekommen. Und habe beinahe einen Herzinfarkt bekommen: Sie habe, sagt S. an einen Ritualmord an ihrer Familie mit heidnischem Opferritus am Balkon gedacht – und sich in allem, was sie je über S. Umgang vermutet (und geschimpft) hatte, bestätigt gefühlt. Da der Nordmann sie noch nicht bemerkt hatte, sei sie aus der Wohnung geschlichen und habe die Polizei alarmiert – als die Wega anrückte, sei der Nordmann gerade mit S. Mutter in der Küche gestanden und habe das Geschirr abgetrocknet.
Die Großmutter habe das nicht beruhigt: Einer der aussähe wie der Nordmann, behauptet sie bis heute, sei durchaus in der Lage eine Familie abzuschlachten. Der Nordmann - davon ist die Großmutter überzeugt – habe am Balkon zu seinen Thors und Odins gebetet und auf einen günstigen Zeitpunkt zum Abschlachten gewartet. Und nur ihr rechtzeitiges und unbemerktes Eintreffen, meint die Großmutter, habe das Schlimmste, das Allerschlimmste, verhindert. Aber außer Spott und Hohn ... und so weiter.
Schwedenfrust
Deshalb erzählt S. ihrer Großmuter auch nicht, dass der Nordmann tatsächlich böse werden kann: Als ihn jemand fragte, ob er Schwede sei – wegend er Wikingervergangenheit - sei das der Fall gewesen. Die Wikinger, habe der Nordmann getobt, seien ursprünglich Isländer gewesen. Und es sei eine Anmaßung anderer Skandinavier, sich dieses Etikett unter den Nagel reissen zu wollen. Die Schweden, soll der Nordmann gebrüllt haben, hätten andere, viel schlimmere, Heimsuchungen geschaffen: Ikea, H&M und Abba etwa.
Die Welt, habe der Nordmann gewütet, sei zu seiner Heimat verdammt ungerecht – denn Island käme immer nur negativ konotiert vor. Wegen der Island-Tiefs im Wetterbericht. Und das sei ein Gemeinheit: Island-Tiefs entstünden über Grönland. Sie zögen dann über Island hinweg. Und obwohl die Isländer also die ersten Opfer des Grönlandwetters seien, bekämen sie auch noch die schlechte Nachrede wegen des Wetters.