Die Suche nach wahrer Erleuchtung beschäftigt die Menschheit wohl seit Anbeginn der Zeit. Früher ging man dafür ins Kloster oder in die Wüste. Heute verrennt man sich schon mal in Lehren wie Kabbala oder schwört auf Scientology. Erwin Redl sorgt für eine völlig andere Form der Erleuchtung. Mithilfe von Raster-Denken und Leuchtdioden erschafft der in Queens, New York, lebende Niederösterreicher auf der ganzen Welt Lichtsituationen mit magischer Wirkung.

Foto: Redl/Paramedia.net

"Allerdings" so meint er, "kann man als Kritiker über meine Arbeiten nicht wirklich viel schreiben, was ich verstehen kann." Diese Äußerung hat nichts mit Bescheidenheit oder etwa Überheblichkeit zu tun. Der Grund ist ein ganz anderer: Erwin Redls Werke vermitteln keine theoretisch verwertbaren Inhalte, sie haben genau genommen nicht einmal ein Statement, sondern sie sind schlicht "nur" Licht. "Viele tun sich schwer damit, meine Arbeit einzuordnen, bezeichnen sie als angewandte Kunst oder als Design und in einem gewissen Zusammenhang stimmt das auch. Mir wird auch sehr oft vorgeworfen, dass sie einfach nur schön im ästhetischen Sinn sind. Aber dass Kunst unbedingt auch kritisch sein muss, ist eine sehr europäische Denkweise, mit der ich nicht unbedingt viel anfangen kann."

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Erwin Redl geht es tatsächlich nicht darum, Inhalte zu vermitteln. "Ich untersuche mit meinen Arbeiten den Begriff 'Reverse Engineering' - was so viel heißen soll wie die Rückübersetzung der abstrakten ästhetischen Sprachen von Virtual Reality und 3-D-Computergrafik in den architektonischen Raum mittels groß angelegter Lichtinstallationen." Was sich anhört wie eine Fachsimpelei unter Technikfreaks, ist in Wahrheit ein Erlebnis für die Sinne. Denn Redls eigentliches Medium ist die individuelle Wahrnehmung der Menschen. "Das Da-Sein ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Lichtinstallationen. Ich versuche, den Raum als eine Art zweite, soziale Haut spürbar zu machen. Und die Leuchtdiode ist für mich, wenn man so will, der Link zwischen Virtualität und Realität." Und die in genau festgelegten Rastern angeordneten Leuchtdioden lassen die Wahrnehmung schon einmal verrückt spielen - die Wirkung ist mitunter tatsächlich körperlich spürbar.

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Eine Arbeit von Erwin Redl kann man sich nicht einfach anschauen wie ein Bild oder eine Skulptur, man setzt sich ihr regelrecht aus. Und bekommt plötzlich dieses eigenartige, traum-hafte Gefühl, als würde man sich plötzlich in einem Computerspiel befinden. "Manchen Leuten wird es auch zu viel und sie müssen rausgehen. Ich stehe selbst oft im Hintergrund und beobachte die Menschen und ihre Reaktionen. Viele fangen ganz spontan an, miteinander zu reden, obwohl sie sich nicht kennen, manchmal erzählen sie sich auch intime Sachen, wie ihre Träume. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sie das Gefühl haben, sich gar nicht in der realen Welt zu befinden - und deshalb auch ihre sozialen Hemmungen verlieren." Erwin Redl selbst sieht sich als eine Art Regisseur "oder vielleicht auch Architekt" seiner Arbeiten, wobei Raster für ihn eine ganz entscheidende Rolle spielen. "Ein Raster ist für mich etwas ganz Objektives, wie ein Maßstab, der sich auf nichts bezieht. Raster sind die Grundlage meiner Lichtinstallationen. Aber eigentlich bezeichnen sie auch so etwas wie eine Lebensphilosophie von mir. Wenn man sich Grenzen steckt, muss man auch Entscheidungen treffen. Und im Grunde steckt jeder auf die eine oder andere Art und Weise gewisse Grenzen ab. Im Leben wie in der Kunst."

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Ausgehend von seinen Rastern entwickelt er Konzepte für Leuchtinstallationen auf der ganzen Welt. Von New York und Los Angeles über Lille und die Berliner Festspiele bis nach München oder Stein/Krems taucht Erwin Redl Räume und Gebäude in sein Licht. Im New Yorker Calvin Klein Store "begrünte" er sogar Kleider und Anzüge. "Das war ein ziemlicher Eingriff in das ganze Store-Konzept. Es war wie ein riesiger Lichtvorhang. Aber niemand hat sich beschwert. Warum auch? Es hat wohl noch niemand geschadet, die Dinge einmal in einem anderen Licht zu betrachten."

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Infos: www.paramedia.net

Möglichkeiten zu Redls Lichtbetrachtung: Permanente Installation "Noctur-nal Flow" im Atrium des Computer Science/Electronic Engineering Building der University of Washington in Seattle; am 1. Oktober 2005: Projekt für Nuit Blanche in Paris, Innenhof Hotel de Ville; Mitte Oktober: Ausstellungsbeteiligung im Los Angeles, Museum of Contemporary Art; im November: Ausstellungsbeteiligung mit FADE III bei "Lights on Tampa" in Tampa, Florida; ab 25. November: Ausstellungsbeteiligung mit MATRIX II in Schanghai; Dezember: Einzelausstellung mit FADE II in der Conduit Gallery in Dallas, Texas.

(Tina Preschitz/Der Standard/rondo/02/09/2005)

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