Spuren der Sowjetunion. Vor allem in Tadschikistan trauern viele Menschen den Sowjetzeiten nach.

Foto: Reeve

Leibwächter zum Schutz vor Warlords. Simon Reeve in Mogadishu, Somalia

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derStandard.at: In ORF-Weltjournal lief gerade Ihre BBC-Dokumenation "Meet the stans". Wieso hat gerade Zentralasien Ihr Interesse geweckt?

Reeve: Ich bin seit den Recherchen zu meinem Buch über die al-Qaida von Zentralasien fasziniert. Ich befürchtete schon damals, Ende der Neunziger, dass das Gebiet zum zukünftigen Brennpunkt des internationalen "Kriegs gegen den Terror" werden könnten.

Zentralasien hat gewaltige Öl- und Gasreserven, militante Islamisten, Diktatoren und schlecht bewachte chemische und biologische Waffen der Sowjetära. Und bis heute gibt es kaum mehr als oberflächliche Berichte aus der Region, die Hintergründe bleiben im Dunkeln.

Damals beschloss ich, an diesem Umstand etwas zu ändern, in die Region zu reisen und genau diese Hintergründe ans Licht bringen. Und so zog ich 2003 mit einem BBC-Fernsehteam los. Vom äußersten Nordwesten Kasachstans, entlang der russischen Grenze, nach Osten an die chinesische Grenze, nach Süden durch Kirgistan und Tadschikistan bis nach Afghanistan und nach Uskekistan und zu den legendären Seidenstraßen-Städten Samarkand and Bukhara. Es war ein beeindruckendes Abenteuer.

derStandard.at: Seit dieser Reise hat sich die politische Situation in den postsowjetischen Ländern rapide verändert. Haben Sie beispielsweise die Umbrüche in Kirgistan oder Usbekistan kommen sehen?

Reeve: Es war unübersehbar, dass politische Aufstände in beiden Ländern nicht mehr lange auf sich warten lassen würden. Usbekistan litt unter einer Schreckensherrschaft, große Teile der Bevölkerung wollten ihren Diktator stürzen. Kirgistan war vielleicht das freundlichste Land Zentralasiens, die Menschen sehr lockere Typen, die sichtlich unglücklich damit waren, schon wieder unter einer Diktatur leben zu müssen. Umbrüche wird es über kurz oder lang in jedem zentralasiatischen Staat geben, das ist nur eine Frage der Zeit.

derStandard.at: Die Wahlen in Kasachstan und Tadschikistan stehen bevor, was erwarten Sie für diese Länder. Sind sie Ihrer Meinung nach überhaupt vergleichbar?

Reeve: Ich bezweifle, dass die Wahlen in Kasachstan so schnell etwas ändern werden. Die Familie des Präsidenten hält die Macht fest in Händen.

Egal ob in der Politik, in den Medien oder der Wirtschaft, sie haben nicht vor, auf ihren Einfluss zu verzichten und werden einen Regierungswechsel zu verhindern wissen. Auch für Tadschikistan bezweifle ich größere Veränderungen. Das Land ist unglaublich arm und der Aufbau nach dem Bürgerkrieg – in dem 150.000 Menschen starben – längst nicht abgeschlossen.

Staatschef Akil Akilow ist allerdings bei weitem nicht so schlimm wie die anderen Diktatoren der Region, so dass man hoffen kann, dass er Reformen zum Wohle seines Staates zulässt. Persönlich setze ich große Hoffnungen in die Internationale Gemeinschaft. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass Menschen im 21. Jahrhundert noch unter derartig restriktiven Dikaturen leiden müssen.

derStandard.at: Welche Probleme sind am augenscheinlichsten?

Alle zentralasiatischen Staaten wurden von ihren Regierungen heruntergewirtschaftet. Zentralasien hat enorme natürliche Ressourcen und sollte dementsprechend wirtschaftlich gut dastehen, vor allem Kasachstan. Aber nach dem Zusammenbruch der Sojwetunion stagnierten die Länder, eine Handvoll Menschen gelangten zu unglaublichem Reichtum.

Wenn kleine postsowjetische Staaten wie Estland aufblühen können gibt es jedoch keine Entschuldigung dafür, dass in Zentralasien Korruption und Armut herrschen.

Die Situation ist tatsächlich mehr als trostlos. Auf dem Land leben beinahe nur mehr Alte und Kinder. Millionen junger Menschen müssen ihre Heimat auf der Suche nach Arbeit verlassen. Ein soziales Netz existiert nicht. Die Korruption ist die eigentliche Herrscherin. In Tadschikistan leben mindestens 80 Prozent der Bevölkerung in bitterer Armut und wenn jemand Arbeit hat, verdient er weniger als 5 Dollar im Monat. Überall stehen ausgebrannte Fabriken aus der Sowjetzeit, Benzin wird nur am Straßenrand verkauft.

derStandard.at: Trauern die Menschen den Sowjetzeiten nach?

Reeve: Das tun sie tatsächlich, was manche erstaunen mag, schließlich war das Sowjetregime eine äußerst üble Diktatur. Aber von Älteren habe ich diesen Satz besonders oft gehört: "So schlecht wie heute war es damals nicht". Das Leben unter sowjetischer Herrschaft war in den Augen dieser Menschen stabiler, die Armut nicht derart schlimm. Man muss auch sagen, dass die Situation für die älteren Menschen tatsächlich dramatisch schlecht ist, am meisten trifft das die Älteren aus der russischen Minderheit.

Stalin siedelte damals die Russen in Tadschikistan an und garantierte eine Grundversorgung im Alter. Als die Sowjetunion zerbrach, wurden auch die Pensionen eingefroren, die hohe Inflation hat sie so gut wie wertlos gemacht. So sind die Bettler in den Straßen von Tadschikistan hauptsächlich Russen, vorwiegend Frauen.

derStandard.at: Einer Ihrer Schwerpunkte ist der internationale Terrorismus. Dokumentationen sind zu diesem Thema entstanden, Sie haben einige Bücher geschrieben. Welche Rolle spielen die "Stans" Ihrer Meinung nach im "Kampf gegen den Terrorismus"?

Reeve: Zentralasiens Diktatoren unterdrücken systematisch eine legitime politische Opposition. Menschen die für freie Wahlen einstehen werden gefoltert oder sogar getötet. Mittlerweile ist der radikale Islamismus eines der letzten "oppositionellen" Ventile, denn diese Opposition lässt sich durch die Bedrohung von Leib und Leben nicht zerstören. In den letzten Jahren haben sich viele Muslims radikalen Gruppen angeschlossen, die Seite an Seite mit der Al Quaida und den Taliban kämpfen oder sie zumindest unterstützen.

Militante Gruppen sind die unweigerliche Folge eines restriktiven Regimes. Nicht zuletzt deswegen ist es wichtig, dass der Westen die zentralasiatischen Regierungen zu mehr Demokratie ermutigt.

derStandard.at: Das Fergana-Tal soll ja zu eine der Operationsbasen des fundamentalen Islamismus sein. Was waren Ihre Erfahrungen?

Reeve: Das Fergana-Tal ist das dichtbesiedeltste Gebiet in Zentralasien und es war immer schon ein Zentrum für alle möglichen Oppositionen. Zuerst gegen die sowjetische, dann gegen die nationalen Diktaturen. Im usbekischen Teil des Tales herrscht die Regierung mit eiserner Faust und geht strikt gegen jegliches Aufflammen oppositioneller Kräfte vor. Die Vorgänge im und um das Tal werden strengstens überwacht, ich selbst musste, um in das Tal zu gelangen, 15 Straßensperren passieren.

Im Tal selbst habe ich dann keine einzige Person getroffen, die nicht zumindest ein männliches Familienmitglied im Gefängnis hatte. Es kommt nicht selten vor, dass Personen, die der Regierung umbequem sind, unter dem Vorwand des Terrorverdachtes verhaftet werden.

Viele Männer werden aus lächerlichsten Gründen festgenommen, weil ihre Bärte zu lang sind und das – ein Zeichen muslimischer Frömmigkeit – schon als radikales Symbol gewertet wird. Natürlich wird von diesem Tal aus auch der Terrorismus unterstützt, persönlich ich habe dort allerdings nur warmherzige und zuvorkommende Menschen getroffen.

derStandard.at: Die US-Armee musste vor kurzem auf einen Beschluss der "Shanghai Sechs" hin ihre Militärbasis in Karshi-Khanabad/Uzbekistan räumen. Wächst der Einfluss von Russland und China in Zentralasien?

Reeve: China und Russland verhalten sich in Zentralasien empörend, sie spielen ein Land gegen das andere aus, unterstützen Diktatoren, ignorieren politischen Mord und Folter und schweigen zum jüngsten Massaker in Usbekistan.

Während China und Russland für den usbekischen Staatschef Karimov den roten Teppich ausrollen, tut es gut zu sehen, dass die EU und die USA Kritik an Usbekistan üben. Das ist auch der Grund, warum die USA ihre Basis aufgeben musste. Das war aber eine richtige Entscheidung: denn die Diktatur zu unterstützen verdirbt den Unterstützer. Dass die usbekische Militärbasis für die USA allzu wichtig war, bezweifle ich allerdings.

derStandard.at: Sie begeben sich für Ihrer Recherchen oft in gefährliche Situationen. Gerieten Sie jemals in wirklich ernsthafte Probleme?

Reeve: Letztes Jahr war ich einen Monat lang in Saudi-Arabien und nur wenige Tage nach meiner Abreise wurden ein anderer BBC-Journalist und sein Team auf der Straße überfallen. Der Journalist wurde mehrmals angeschossen, sein Kameramann getötet. Das hat mir die Risiken des Jobs wieder drastisch vor Augen geführt.

Eines der seltsamsten Dinge passierte mir kürzlich in Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia und einer der gefährlichsten Städte weltweit. Warlords haben die Stadt fest unter Kontrolle, wir hatten zumindest ein Dutzend schwer bewaffneter Männer zu unserem Schutz. Eines Nachts zog ich einen Stecker aus einer kaputten Steckdose und griff dabei in den Stromkreis. Der Stromstoß schleuderte mich quer durch den Raum, ein Wunder, dass ich das überlebte.

Ich hatte eine schlaflose Nacht in der ich mir überlegte, was zum Teufel ich in dieser gottverlassenen Ecke der Welt suchte, wo schon das Rausziehen eines Steckers dich töten kann. Eine Kollegin von mir wurde einige Monate später in Mogadischu in Kämpfe verwickelt und getötet. Ich denke, dass ich noch großes Glück hatte.