Im Bildungsministerium ist man nach wie vor über die von der österreichischen UNESCO-Kommissiones vorgelegten Zahlen empört, wonach es in Österreich bis zu 600.000 funktionale Analphabeten gebe.

"Unbewiesen"

Schützenhilfe erhielt das Ministerium, das von "unbewiesenen Zahlen" spricht, nun von einem Augenarzt der Medizinuniversität Wien, der für die Diagnose des Sehvermögens Lesetafeln einsetzt. In einer am Freitag vom Ministerium veröffentlichten Stellungnahme von ao.Univ.-Prof. Wolfgang Radner betont dieser, dass in einer Untersuchung von 800 Patienten mit österreichischem Schulabschluss "keine eklatante Leseschwäche" aufgefallen sei.

Tests an Klinik

Radner hat nach eigenen Angaben mit Psychologen, Linguisten und Statistikern einen Lesetest (Radner Lesetafeln) entwickelt, in dem verschiedene Sätze des selben Schwierigkeitsgrades in abnehmender Schriftgröße aufgelistet sind. An der Uni-Augenklinik Wien seien damit 800 Patienten untersucht worden, die einen Schulabschluss (mindestens acht Schuljahre) in Österreich hatten. "Da wir die Patienten nach Diagnosen ausgewählt haben, entspricht das soziale Gefüge in diesen Studien jenem der Gesellschaftsstruktur in Österreich", erklärte Radner. Auch der Einfluss des Alters sei dabei berücksichtig worden.

"Hätte auffallen müssen"

"Obwohl sich die Lesefähigkeit verschiedener Menschen unterscheiden mag, ist in keiner dieser Studien eine eklatante Leseschwäche eines Probanden aufgefallen", betont der Augenarzt. Gäbe es wirklich ein Leseproblem behaupteter Größenordnung in der Bevölkerung, hätte das in den Studien bei einer derart großen Stichprobe auffallen müssen, ist Radner überzeugt.

Nach Angaben Radners hat die Prüfung des Lesevermögens in der österreichischen Augenheilkunde eine große Tradition und werde von Augenärzten durchwegs angewandt, da damit bei vielen Augenerkrankungen eine zusätzliche diagnostische Information gewonnen werden könne. Auch in seiner Kassenordination, wo er in einem Jahr rund 3.500 Patienten aller Gesellschaftsschichten mit Hilfe der Lesetafeln untersucht hat, habe er auffallende Leseprobleme ausschließlich bei Sehfehlern und Augenerkrankungen festgestellt. "Würde tatsächlich ein derart gravierendes Leseproblem in der österreichischen Bevölkerung bestehen, wäre uns das sicher nicht verborgen geblieben", meint Radner, der in seiner bisherigen Tätigkeit erst einmal auf einen echten Analphabeten gestoßen ist.

Für das Bildungsministerium zeigt die Studie, dass die von der UNESCO-Kommission genannten Zahlen "übertrieben hoch" und wissenschaftlich nicht nachvollziehbar sind. (APA)