New York - Andre Agassi saß auf seinem Sessel, den Kopf in die Hände gestützt und von einem weißen Handtuch teilweise bedeckt. Das hatte nichts mit Scham zu tun, im Gegenteil, der 35-Jährige hatte im Finale der 125. US Open vorzügliches Tennis gezeigt. Und trotzdem hat es nicht gereicht. Bei Weitem nicht. Das mussten schlussendlich auch die 23.000 der Hysterie nicht abgeneigten Zuschauer im Arthur Ashe Stadium zu New York akzeptieren. Genies lehnen Sentimentalitäten ab, sie ignorieren Legenden auch an einem 11. September, Roger Federer siegte binnen 2:20 Stunden 6:3, 2:6, 7:6 (1), 6:1.

"Er ist der beste Spieler, gegen den ich je gespielt habe", sagte Agassi später. Und er kennt sie alle, da spricht kein Blinder von der Farbe. Den Jimmy Connors, den Björn Borg, John McEnroe, Boris Becker, Ivan Lendl, Stefan Edberg und natürlich den Pete Sampras. Übt man einen Beruf seit 20 Jahren aus, bekommt man einen Überblick. "Rogers Möglichkeiten sind in jeder Situation endlos, man steht bei jedem Schlag unter Druck. Sein Erfolg spiegelt all die Dinge wider, die er tun kann."

Zahlen zu Federer, dem 24-jährigen Schweizer: 35 Hartplatzsiege in Folge, 23 Endspielsiege hintereinander, seine bisher sechs Grand-Slam-Finale hat er alle gewonnen. Als erster Spieler in der Profi-Ära hat er die Titel in Wimbledon und bei den US Open verteidigt. Heuer hat er von 74 Partien nur drei verloren (Safin, Gasquet, Nadal), er hält bereits bei 32 Turniersiegen.

"Ich weiß nicht, wie ich das schaffe", sagte Federer, als er aufgewacht war. "Ein Traum, gegen Agassi hier in New York zu gewinnen. Er ist eine lebende Legende. Ich habe jede Sekunde genossen." Federer ("noch bin ich ein kleines Licht") besitzt die Gabe, Krisen zu ignorieren, etwa die Rückhandfehler im zweiten Durchgang. Droht es eng zu werden, packt er grandiose Schläge aus, da putzt er im Tiebreak den prinzipiell fehlerlosen Agassi 7:1. "Da steckt keine Idee dahinter, das kommt automatisch." Er zerstört sein Gegenüber, nicht auf die brutale Tour, es sieht wunderschön und so einfach aus, man kann ihm nicht wirklich böse sein. "Gegen jeden anderen hätte ich mit meiner Leistung eine gute Chance gehabt", erklärte Agassi.

Kein Ende in Sicht

"Danke, New York, für die letzten 20 Jahre, es war wunderbar", rief er seinen Fans zu. Das klang nach Abschied, war aber keiner: "Ich weiß nicht, was in einem Jahr, einem Monat ist." Mit Coach Darren Cahill will er sich nun beraten, mit Fitnesstrainer Gil Reyes, ganz sicher auch mit Ehefrau Steffi Graf. "Wenn es meine Familie zu sehr einschränkt und wenn ich das Gefühl habe, ich kann körperlich nicht mehr mithalten, dann sind das Gründe aufzuhören", sagte der Legendäre: "Keine Idee, wann das sein wird." (red - DER STANDARD PRINTAUSGABE 13.9. 2005)