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Schon seit 1993 verfolgt das International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) in Den Haag schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht auf dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien. Die UNO-Generalversammlung in New York hat am 24.August 2005 den Wiener Strafrechtsprofessor Frank Höpfel mit 173 Stimmen zum Ad-litem-Richter am Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien gewählt. 

Mit derStandard.at sprach der Experte für internationales Strafrecht über die Bedeutung der USA zwischen Liechtenstein und Vanuatu, den Beitrag des Tribunals zur Geschichtsschreibung und die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft für den Friedensprozess.

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derStandard.at: Zehn Jahre sind seit dem offiziellen Kriegsende vergangen. Kann mit juristischen Mitteln überhaupt ein sinnvoller Beitrag zum Friedensprozess geleistet werden?

Höpfel: Aber ja, gerade von juristischer Seite kann dieser Friedensprozess vorangetrieben werden. Genau so wichtig wie die Schnelligkeit der Abwicklung ist dabei aber die Gründlichkeit und die Genauigkeit, vor allem im Sinne der Opfer und ihrer Angehörigen. Und schließlich ist das, was der ICTY tut, ja doch ein Beitrag zur Geschichtsschreibung.

derStandard.at: Der ICTY wurde 1993 durch eine Resolution des Sicherheitsrates ins Leben gerufen. Wieviele Anklagen gibt es insgesamt?

Höpfel: Die Anklagen sind bereits alle erhoben, insgesamt 162. Jetzt geht es darum, dass man sie einigermaßen schnell abarbeitet. 126 Angeklagte sind bisher schon zu Verfahren vor dem Tribunal erschienen. Die sogenannte "Completion Strategy" der UN besagt, dass man bis 2008 versuchen will, die Verfahren in erster Instanz abzuschließen, und bis 2010 die in zweiter Instanz.

Standard.at: Denken Sie, dass sich das zeitlich ausgehen wird?

Höpfel: In meinen Gesprächen mit zahlreichen Ländervertretern kam immer wieder die Frage auf, ob die Bewältigung der Verfahren in der vorgegebenen Zeit zu schaffen sein wird. Meine Ansicht: Das wird sich knapp ausgehen oder gerade knapp nicht ausgehen. Die "Completion Strategy" ist nur ein ungefährer Zeitplan, im Notfall wird man eben ein bisschen mehr Zeit und damit auch Geld investieren müssen.

derStandard.at: Welche Herausforderungen stellen sich dem Tribunal in naher Zukunft?

Höpfel: Eine kritische Frage wird sein: Inwieweit kann man Verfahren an lokale Gerichte übertragen? Das wird die Herausforderung in nächster Zeit sein, denn je besser das gelingt, desto erfreulicher für den ICTY. Momentan ist dieser Punkt noch ein bisschen problematisch.

derStandard.at: Liegt in einer Übertragung an lokale Gerichte nicht die Gefahr von Parteilichkeit? Sind die Gerichte in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien reif für eine neutrale Rechtssprechung über "ihre" Kriegsverbrecher?

Höpfel: Die Vision liegt darin, immer mehr Fälle in die Zuständigkeiten der nationalen Gerichte übergehen zu lassen, die von Seiten der UN unterstützt werden. Es hat mehr Effekt, mehr Akkzeptanz, mehr friedensschaffende Wirkung, wenn solche Fälle im nationalen Gerichten entschieden werden. Die internationale Gemeinschaft soll nur einspringen, wo die einzelnen Länder überfordert sind oder ein faires Verfahren illusorisch ist.

Unparteilichkeit ist dabei natürlich das höchste Ziel, wobei auch der Jugoslawiengerichtshof sich immer wieder gegen den Vorwurf wehren muss, parteilich, gemeint: Ein Instrument der Amerikaner zu sein. Was insofern nicht nachvollziehbar ist, als die Richter ja von der Generalversammlung gewählt wurden. Darin hat die USA eine einzige Stimme - also genau so viel Gewicht wie etwa Liechtenstein und Vanuatu. Insofern kann von einer Parteilichkeit keine Rede sein.

Standard.at: Einer der immer wiederkehrenden Kritikpunkte am ICTY war, dass er seine Zuständigkeit in der Frage der "NATO Bombings", also der Bombardements Serbiens durch die NATO verneint hat.

Höpfel: Das wird manchmal falsch aufgefasst. Die Anklagebehörde hat die "NATO Bombings" sehr wohl untersucht, da gab es eine genaue Erhebung durch eine eigene Kommission. Diese ist zum sachlichen Ergebnis gekommen, dass keine Kriegsverbrechen vorliegen, sondern Kollateralschäden, "collateral damages", und eine Anklage vor dem ICTY daher nicht gerechtfertigt ist. Meiner Ansicht nach ist diese Entscheidung der Anklagekammer auch nachvollziehbar. Für die USA war es aber dennoch ein heilsamer Schock zu sehen, dass Offiziere der NATO fast auf der Anklagebank gelandet wären.

derStandard.at: Ist das Jugoslawientribunal Ihrer Ansicht nach eine Erfolgsgeschichte?

Höpfel: Auf jeden Fall. Unter großer Anstrengung ist eine Art von Gerechtigkeit geschaffen worden. Sehr viele Opfer und deren Angehörige haben Gehör gefunden, sie sind weitestgehend beschützt worden. Für die Opfer ist es wahnsinnig wichtig, ihre Geschichte zu erzählen. Man kann die Erfolge jetzt nicht so einfach in Zahlen fassen, aber ich glaube generell, dass wir die Chance haben, diese Regionen und Bevölkerungsgruppen zu einer friedlichen Koexistenz zu führen.

derStandard.at: In welchen Bereichen sind noch Verbesserungen nötig?

Höpfel: Die Auslieferungspraxis der Staaten hat lange zu wünschen übrig gelassen und lässt es teilweise auch heute noch, weil zu sehr auf das lokale Echo und die nationale Politik Rücksicht genommen wird. Hier ist sicher noch viel zu tun.

derStandard.at: Ist die internationale Gerichtsbarkeit stark genug, um mit den regionalen und überregionalen Konflikten der heutigen Zeit umzugehen?

Höpfel: Momentan krankt es daran, dass die Großmächte, die im Sicherheitsrat noch ihre Stärke spüren, ihre Nachkriegsstärke wohlgemerkt, noch immer dieses Nachkriegssystem mit den Vetorechten verteidigen. Das erkennt man ja auch daran, dass die Reform der Vereinten Nationen so schwierig ist, da bestimmte Länder von ihren althergebrachten Machtpositionen nicht abweichen wollen. Im Grunde ist die Idee, dass möglichst viele Länder dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof (ICC) beitreten - je mehr, desto besser. Jetzt ist gerade Mexiko als 100. Land Mitglied geworden. Der Sicherheitsrat hat sich außerdem entschlossen, dem ICC die Darfur-Angelegenheit zu unterbreiten – ein deutliches Zeichen für eine Aufwertung.

Standard.at: Was muss jetzt passieren, um den Frieden in Jugoslawien zu sichern?

Höpfel: In den einzelnen Ländern muss der Aufarbeitungsprozess weitergehen. Ob das geschieht, ist vorrangig eine politische Frage. Je stärker das Tribunal Autorität zeigen kann und Anerkennung erwirbt, umso eher wird die Einsicht der Bevölkerung da sein, dass eine Zusammenarbeit nötig und sinnvoll ist.

Wir stehen momentan offenbar vor dem Durchbruch. Viele mutmaßliche Kriegsverbrecher haben sich in letzter Zeit gestellt, es gab einige Auslieferungen, und es besteht eine wachsende Zustimmung seitens der Bevölkerung. Natürlich wir es immer "Ewiggestrige" geben, die sich nicht bekehren lassen, aber die generelle Akkzeptanz der internationalen Gerichtsbarkeit steigt. (27.9.2005)