Nun ist auch Friedrich Peter in jenes Reich eingegangen, in dem Zehntausende verschwunden sind, die es im ukrainischen Sommer des Jahres 1941 mit Peters SS-Einheit zu tun bekamen. Nun ist Friedrich Peter jenem Simon Wiesenthal nachgefolgt, der vor 30 Jahren Peters Zugehörigkeit zu jener SS-Mordbrigade aufgedeckt hat. Friedrich Peter war und ist Wiesenthals ungelöster Fall. Er war und ist auch Österreichs ungelöster Fall.

Peter ist eine Schlüsselfigur der Zweiten Republik. Er war 20 Jahre Vorsitzender der drittgrößten Partei, der FPÖ. Er machte durch ein Duldungsabkommen mit Kreisky dessen Kanzlerschaft erst möglich. Er wäre um ein Haar Vizekanzler und Dritter Nationalratspräsident geworden; und er war 1983 der Architekt der rot-blauen Koalition (nachdem seine Mitgliedschaft in der SS-Brigade schon bekannt war). Und immer noch steht die Frage im Raum, ob Peter als Mitglied jener Einheit persönlich Juden erschossen hat.

Peter hat es so bestritten: "Ich habe seit 1941 bei der 1. SS-Infanteriebrigade ... meinen Dienst abgeleistet, aber weder innerhalb noch außerhalb dieses Zeitraumes an Erschießungen und Repressalien teilgenommen" (profil 1975).

Wiesenthal konnte Peter vor 30 Jahren eine direkte Beteiligung nicht nachweisen. Inzwischen ist die einschlägige Forschung immens weitergekommen. Man hat ein ganz klares Bild von der Tätigkeit jener SS-Brigade(n). Marin Cüppers, ein junger deutscher Wissenschaftler und Mitarbeiter der einschlägigen Forschungsstelle Ludwigsburg, der soeben ein massives Werk zu den Morden jener SS-Brigade vorgelegt hat, ("Wegbereiter der Shoah.

Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer SS und die Judenvernichtung 1939-45". Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2005), hat die Archive noch einmal durchforstet und auch nichts gefunden. Aber das ändert nichts daran, dass man die Frage heute anders stellen muss: Ist es überhaupt denkbar, dass Friedrich Peter, nach allem, was man über diese Einheit weiß, nicht mitgeschossen hat? Hatte einer der wichtigsten Politiker der Nachkriegszeit Blut an den Händen?

Cüppers sagt dazu im Gespräch mit dem Autor dieser Kolumne: "Es besteht eine geringe Chance, dass F. P. nicht an Judenerschießungen im Sommer 1941 in der Ukraine beteiligt war, etwa wenn er zum Tross gehört hat. Es gab überdies auch die von ganz wenigen genutzte Möglichkeit, sich zu weigern, an den Exekutionen teilzunehmen."

Was haben diese Einheiten getan? Am 4. August 1941 etwa umstellten Einheiten des 10. Infanterieregiments der 1. SS-Infanteriebrigade die ukrainische Stadt Ostrog, in der rund 8.000 Juden wohnten. Mehrere hundert wurden in einem langen Zug aus der Stadt zu Gräben geführt, wo sie sich mit dem Gesicht zur Grube aufstellen mussten. Für jede Person waren zwei SS-Schützen auf gestellt. Für Kleinkinder war noch ein dritter Schütze eingeteilt, der auf den über die Schulter der Mutter gelegten Kopf des Kindes zielte. Dann erscholl das Kommando: "Anlegen!.. Feuer!"

Friedrich Peter war Angehöriger des 10. Regiments, das die Aktion in Ostrog durchführte. Ein Regiment umfasst rund 3.000 Mann. Peter war Unterscharführer (etwa Kompanietruppführer ) in der 5. Kompanie. Ob die 5. Kompanie in Ostrog eingesetzt war, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Der Historiker Cüppers sagt, dass, wenn eine Kompanie einmal nicht eingesetzt war, sie eben ein paar Tage später drankam. Die Beteiligung der 5. Kompanie an einer anderen Mordaktion wurde nach dem Krieg dann vor Gericht verhandelt.

Cüppers: "Diese SS-Brigaden waren die ersten, die überhaupt zur Massenvernichtung von jüdischen Zivilisten eingesetzt wurden. Sie waren die Wegbereiter der Shoah." Die drei Brigaden wurden nur zum Zweck des Massenmords an den Juden aufgestellt. Die 1. SS-Infanteriebrigade tötete von Ende Juli bis Anfang Dezember mindestens 17.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Im Winter ermordete sie noch rund 25.000 sowjetische Kriegsgefangene. Sie war in dieser Zeit niemals im Fronteinsatz, immer nur im Hinterland.

Peter hat seinerzeit etwas von "Urlaub" gemurmelt und von "Partisanenbekämpfung". Die Partisanenbekämpfung war aber ein Code für Judenvernichtung. Er habe von den Massenmorden nie etwas erfahren : "Ich habe lediglich meine Pflicht erfüllt". Cüppers hält es angesichts der Intensität der Morde für ausgeschlossen, dass Peter nichts wusste, selbst wenn er selbst nicht direkt beteiligt war. Wobei "Beteiligung" natürlich auch heißen kann: Beteiligung am Hinaustreiben der Opfer zu den Erschießungsgruben, Wachdienst usw.

Die SS-Brigaden gehörten zur so genannten Waffen-SS (soviel zu deren "Makellosigkeit", u.a. laut Jörg Haider und dem Kärntner SPÖ-Politiker Rudolf Gallob). Ihre Mannschaften stammten aus der unteren Mittelschicht (Friedrich Peter war Sohn eines sozialdemokratischen Eisenbahners) und waren ideologisch außerordentlich motiviert.

Im September 1941 erhielten 31 Mitglieder der SS-Brigaden das Eiserne Kreuz II. Klasse, darunter auch Peter. Cüppers: "Das erhielten die, die mit dem Herz dabei waren". Später erhielt Peter das Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik. Und zu seinem Ableben sagte ÖVP-Klubobmann Willi Molterer, Österreich habe einen engagierten Parlamentarier verloren. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2005)