Cartoon: Oliver Schopf, austrianillustration.com

Cartoon: Oliver Schopf
Bei vielen öffentlichen Übernahmen bringt der Bieter - mehr oder weniger ausdrücklich - eine klare Absicht zum Ausdruck: Sollte er nach dem Übernahmeverfahren über mindestens 90 Prozent der Aktien verfügen, will er auch die verbleibenden Minderheitsaktionäre im Wege eines so genannten "Squeeze-out"-Verfahrens aus der Gesellschaft ausschließen.

Der betroffene Aktionär steht dann vor der Frage, ob er seine Aktien zum Preis des Übernahmeangebotes veräußern oder darauf hoffen soll, dass dem verbleibenden Streubesitz im Squeeze-out ein höherer Preis geboten werden könnte.

Die Höhe der Gegenleistung beim Squeeze-out ist derzeit ungewiss. Ein Minderheitsaktionär kann bei seinem Ausschluss sicherstellen, dass eine Barabfindung auf ihre Angemessenheit gerichtlich überprüft wird. Bei einer solchen Überprüfung stellt ein Sachverständiger den Unternehmenswert fest, indem er den Ertragswert nach dem "Wiener Verfahren" ermittelt; so wird festgestellt, ob die Höhe der Barabfindung dem Wert der bisherigen Beteiligung des ausgeschlossenen Gesellschafters entspricht.

Durch das jüngste Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (G 129/04 u. a. vom 16. 6. 2005) ist eine solche Überprüfung für alle Minderheitsaktionäre möglich geworden: Die Einschränkung, dass bei gewissen Formen eines Squeeze-outs nur Aktionäre, die mindestens über ein Prozent des Grundkapitals oder über Aktien im Nominalwert von 70.000 Euro verfügt haben, die Barabfindung gerichtlich überprüfen lassen können, wurde als verfassungswidrig aufgehoben.

Anders berechnet

Bemerkenswerterweise wird der gesetzliche Mindestpreis im Übernahmerecht, die den Streubesitzaktionären bei einer Übernahme angeboten werden muss, völlig anders berechnet: Er muss mindestens den durchschnittlichen Börsenkurs der letzten sechs Monate erreichen, und darf nicht mehr als 15 Prozent unter jenem Preis liegen, den der Bieter innerhalb der letzten zwölf Monate für derartige Aktien gezahlt hat.

In der österreichischen Praxis entsprach die Barabfindung beim Squeeze-out meist dem Barpreis im Übernahmeangebot. Aber der Minderheitsaktionär hatte zumindest die Hoffnung, dass das Gutachterverfahren im Squeeze-out zu einem vorteilhafteren Ergebnis führen kann. Für die Unternehmen brachte dieses Verfahren nicht nur ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit, sondern auch zeit- und kostenintensive gesellschaftsrechtliche Reorganisationsmaßnahmen mit sich. Die Drohung mit einer Anfechtung des Squeeze-out-Preises stärkte allerdings die Position der Kleinaktionärsvertreter.

Die Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie, die Österreich bis Mai 2006 vornehmen muss, wird das ändern: Sie sieht vor, dass der Angebotspreis eines Übernahmeverfahren für die Barabfindung eines zeitlich bald darauf folgenden Squeeze-outs als angemessen zu gelten hat.

Die Richtlinie sieht dafür eine Mindestfrist von drei Monaten vor, die der Gesetzgeber allerdings verlängern kann. Darüber hinaus wird der Gesetzgeber durch die Umsetzung der Richtlinie auch gehalten sein, das Squeeze-out als echte Verkaufspflicht auszugestalten. All das erleichtert Übernahmen, schränkt aber gleichzeitig die Rechte von Kleinaktionären etwas ein.

Der Gesetzgeber sollte die Chance nutzen, bei der Umsetzung der Übernahmerichtlinie und des VfGH-Urteils das Squeeze-out-Verfahren insgesamt neu auszugestalten - auch im Zusammenhang mit nicht börsenorientierten Gesellschaften, die von der Übernahmerichtlinie gar nicht berührt werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.09.2005)