Foto: Süddeutsche Junge Bibliothek

Konrad kommt per Post als Paket ins Haus. Frau Berti Bartolotti hat ihn nicht bestellt. Aber da sie etwas schusselig ist und gern Bestellcoupons abschickt und oft auch nicht mehr weiß, was sie alles bestellt hat, behält sie Konrad, was aber gar nicht so einfach ist. Denn Konrad befindet sich als verschrumpeltes Halbfertigprodukt in einer Konservendose und muss erst einmal mittels der beigelegten Nährlösung auf Vordermann gebracht werden. Das glückt überraschend einfach. Nun ist Konrad ganz. Ein perfektes Kind.

Wie aus dem stinklangweiligen Superkind ein ganz normaler frecher Junge wird, der am Ende auch noch trickreich vor seiner plötzlich auftauchenden echten Bestellfamilie gerettet werden muss, das wird in diesem ebenso lustigen wie spannenden Buch der österreichischen Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger erzählt.

Ein Kinderbuch? Natürlich. Aber nicht nur. Die Kids, die es lesen, werden sich diebisch über Konrads Verwandlung in eine unberechenbare Alltagsgestalt freuen, die sie nur zu gut kennen. Er ist dann wie sie, wie sie wären, wenn sie dürften, wenn sie nämlich so leicht chaotische, nette Eltern hätten, wie sie in dem wenig perfekten Exemplar Berti Bartolotti vorgestellt werden. Zu ihrem Freund Egon, dem Apotheker, der sich als Vater des perfekten kleinen Konrad aufspielen möchte, sagt Frau Bartolotti erbost: "Dauernd wollen die Erwachsenen die Kinder anschmieren. Dauernd zeigen sie ihnen: Schaut nur her, wie mächtig und wie gescheit, wie klug und wie gut wir sind."

Bei allem Vergnügen also, das junge Leser an dieser glänzend erzählten Geschichte haben werden, ist es doch auch ein höchst lehrreiches Werk für die Erwachsenen. Auch sie sollten es lesen. Sie werden sich amüsieren, manchmal schlucken, vielleicht seufzen, endlich aber könnten sie erkennen, dass Berti Bartolotti, diese Mutter wider Willen, so schusselig-vernünftig ist, wie sie, die lesenden Eltern, es einmal sein wollten.

Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse, 1975 erschienen, ist im besten Sinne ein Buch für die ganze Familie. Christine Nöstlinger, 1936 in Wien geboren, wo sie immer noch lebt, hat ziemlich alles abgeräumt, was es an Jugendliteraturpreisen zu gewinnen gibt. Auch Konrad ist auf der Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises gelandet - das ist schon so gut wie der Preis selbst. Durch alle Bücher Nöstlingers zieht sich ein leiser, doch unüberhörbarer Gesang von der Lust an Anarchie, an kindlicher Selbstbestimmung. Darin steckt Aufklärung über den ganz normalen Alltag, darüber, wie er ist, wie er sein könnte. Nöstlingers Geschichten sind Befreiungstaten. Deshalb tun sie so gut. (DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.10.2005)