Wien - Armut macht krank und Reiche leben länger. Das trifft nicht nur auf Länder der "Dritten Welt", sondern auch auf hoch entwickelte Gesellschaften zu. Auch in Wien, einer Großstadt mit vergleichsweise hoher Lebensqualität, wachsen die schichtspezifischen Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem, stellt Ernst Berger, Leiter der Abteilung für Psychiatrie am Rosenhügel, fest.

"Allein, dass es ein großes Angebot an Gesundheitseinrichtungen gibt, reicht noch nicht aus. Sozial schwächere Gruppen stehen oft vor finanziellen oder kulturellen Hürden", erklärte Berger am Montag bei einer Gesprächsrunde, zu der Sigrid Pilz, die Gesundheitssprecherin der Grünen, geladen hatte.

Armut macht krank

Berger bezieht sich auf eine Studie der Wiener Ärztekammer aus dem Jahr 2004, die ergeben hat, dass die Lebenserwartung zwischen den einzelnen Wiener Gemeindebezirken erheblich differiert: So sterben Frauen in Rudolfsheim-Fünfhaus mit durchschnittlich 78,5 Jahren deutlich früher als in Währing oder der Josefstadt, wo die Lebenserwartung bei 81 Jahren lag. Bei Männern sind die Unterschiede noch größer. Die geringste Lebenserwartung haben Donaustädter mit 72,2 Jahren, gefolgt von Favoritnern und Simmeringern, die höchste Bewohner der Inneren Stadt mit 76,8 Jahren.

Tatsache ist, dass Menschen mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsniveau seltener zum Arzt oder zu Vorsorgeuntersuchungen gehen und häufiger erkranken. So suchen Wiener Männer mit Uni-Abschluss viermal häufiger einen Arzt auf als Männer mit Pflichtschulabschluss. "Leider ist die Sozialmedizin in Österreich unterbelichtet, daher gibt es nur wenig schichtspezifische Daten", meint Berger. Erwiesen sei jedoch, dass der Gesundheitszustand einer Bevölkerung umso besser ist, je kleiner die Kluft zwischen Reich und Arm ist - und die sei in den letzten fünf Jahren immer größer geworden.

Um dem Trend in Richtung einer Zwei-Klassen-Medizin entgegenzuwirken, verlangt Sigrid Pilz die Erstellung von verbindlichen Zielvereinbarungen unter Einbeziehung aller Politikfelder sowie Patientenvertreter. Das so genannte Reformbudget zur Gesundheitsfinanzierung sollte zur Gänze der Armutsbekämpfung gewidmet werden. Zusätzlich zur Einführung einer Grundsicherung von 800 Euro fordern die Grünen eine "Active Card", die obdachlosen und einkommensschwachen Menschen Freifahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln und ermäßigte Einrichtungen in soziale und kulturelle Einrichtungen ermöglichen soll. (Karin Krichmayr, DER STANDARD Printausgabe, 05.10.2005)